0233 - Allein in der Drachenhöhle
grünliche Leuchten. Es wallte dort auf, wo sich die Schwärze befand, und es blieb nicht an einem Punkt, sondern wanderte weiter. Zwar nicht schnell, aber sehr zielstrebig. Es gab keinen Zweifel daran, dass dieses Leuchten allein das Kreuz zum Ziel hatte.
Noch befand es sich nicht in der Höhe, sondern kroch über den Boden, aber als es das Podest erreichte, da spürte Lady Sarah bereits die Erschütterung.
Sie war nur kurz. Einen Atemzug später jedoch erfolgte die Reaktion. Das Podest, auf dem sie stand, schmolz unter ihr weg. Mit ihm geschah das gleiche wie mit den Mauern der Kirche. Voller Entsetzen erkannte Mrs. Goldwyn, dass der Spuk das Kreuz überhaupt nicht anzufassen brauchte, er würde es auch so bekommen.
Das große Holzkreuz begann zu zittern. Es verlor immer mehr an Halt, schwankte plötzlich, kippte nach vorn, und Lady Sarah klammerte sich wie eine Ertrinkende fest. Ihre Gesichtszüge wurden eine Maske der Angst, sie schienen zu zerfließen und dann einzufrieren.
»Du kommst!« grollte der Spuk, »du kommst mir entgegen. Du wirst es nicht schaffen, nichts kann dich retten, auch nicht das Kreuz.«
Lady Sarah hörte zwar die Worte, doch wurden sie von ihr nicht recht erfasst. Sie dachte nur an die nächsten Augenblicke, wo das passieren würde, vor dem sie sich so fürchtete. Der Fall.
Noch hielt das Kreuz, aber das steinerne Podest unter ihm verschwand immer mehr. Es gelang Lady Sarah sogar, den Blick zu senken, dabei konnte sie in den starken, sich allmählich auflösenden Stein hineinschauen und entdeckte sogar das Ende des senkrecht verlaufenen Balkens, der im Stein steckte, aber nicht mehr die Standfestigkeit besaß.
Sie kippte. Nicht schnell, nein, wie im Zeitlupentempo. Und sie fiel auch nicht zurück, sondern nach vorn, dem Spuk entgegen, wobei sie das Gefühl hatte, im nächsten Moment in der schwarzen Wolke verschwinden zu müssen.
Die Zeitspanne, diese schrecklichen Sekunden, waren mit das Schlimmste, was sie überhaupt bisher durchgemacht hatte, die Realität verschwand, die konnte sich nur noch ihren Gefühlen hingeben.
Kaum nahm sie wahr, dass der Spuk zurückwich. Er wollte nicht unbedingt mit dem Kreuz in Berührung kommen.
Er hat doch Angst! schoss es ihr durch den Kopf - dann erfolgte der Aufprall. Er war hart und schmetternd. Lady Sarah hatte sich vorgenommen, nicht zu schreien, dieser Vorsatz allerdings brach, als sie, noch immer an das Kreuz geklammert, zu Boden fiel.
Lady Sarah konnte einen Laut des Schmerzes nicht unterdrücken. Als wäre sie mit dem Kreuz verwachsen oder daran festgeklebt, klammerte sie sich daran und auch an das Buch. Trotz der Qualen wollte sie es nicht loslassen.
Zu den Füßen des Spuks lag sie, und der Dämon stand wie ein unheimlicher Sieger vor ihr.
Kein Horror-Regisseur hätte die Szene besser einstellen können, als die Wirklichkeit sie präsentierte.
Es war schon ein Bild des Schreckens, die Frau auf dem Boden liegen zu sehen und vor ihr der gewaltige Spuk, dieses schwarze, gestaltlose Wesen aus dem Reich der. Schatten.
»Das Buch, gib es her!« hörte die Horror-Oma wieder die Stimme. »Gib es freiwillig, du kommst gegen mich nicht an!«
Die Angst schüttelte Lady Sarah durch. Sie wusste selbst nicht, woher sie den Mut nahm, mit einem »Nein« zu antworten. Aber sie tat es und zwang den Dämon damit zu einer Reaktion.
Der Schatten wallte und bewegte sich gleichzeitig nach vorn. Es kam wie ein riesiger schwingender Teppich und deckte Lady Sarah von oben zu.
Sie hatte ein wenig den Kopf zur Seite gedreht, so dass sie aus den Augenwinkeln schielen konnte, bemerkte nun die Dunkelheit, die sie plötzlich umfing und wusste, dass der Spuk über ihr war und seine schwarzen Todesschwingen ausgebreitet hatte.
»Töten werde ich dich. Töten, ohne dich zu berühren, alte Frau. Danach reiße ich deine Seele an mich, damit sie für alle Zeiten die ewigen Qualen der Verdammnis kennen lernt.«
Mrs. Goldwyn hörte die Worte, aber sie fasste sie kaum. Sie begriff nicht so recht, wusste nur, dass der Spuk an das Buch wollte, das sie nach wie vor festhielt.
»Das Leben ist endlich, die Qualen hören nie auf…« Gelächter folgte den Worten, »und in meinem Reich ist noch viel Platz, sehr viel Platz, alte Frau…«
Es waren keine Schmerzen, die Lady Sarah spürte, nur ein nie erlebtes Gefühl, das in ihren Adern entstand und an den Füßen mit einem seltsamen Kribbeln anfing. Es zog immer höher in die Beine, wanderte weiter und weiter, erreichte
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