024 - Beim Volk der 13 Inseln
ihn wie ein Schmerz. »Izeekepir! Izeekepir!« Und dann vielstimmiges Gejammer und Geschrei. Die an den Stangen schaukelten hektisch hin und her. Wasser spritzte auf. Das hohle Holz gewann an Geschwindigkeit.
Er brüllte und nahm die Verfolgung auf. Sein Hirn kannte keine Alternative. Er musste sie haben. Alle. Er musste ihr warmes Blut schmecken, er musste ihr zuckendes Fleisch zerreißen, er musste ihr Blut saufen, er musste, er musste…
***
Aruula verbrachte die Nacht in der Werft, in einer Lagerhalle voller Holz. Zwischen Balken und Brettern rollte sie sich in ihren Mantel.
Warm war es nicht, aber auch nicht zu kalt. Sie hatte schon an unwirtlicheren Schlafplätzen gelagert.
Ihre Gedanken kreisten um die Erscheinung in der Nacht zuvor. Um die Greisin und ihre Worte. Um Maddrax und Meeraka. Und um das rätselhafte Schiff. Ein mächtiger Arzt… Masta… Das musste wohl »Herr« oder »Meister« heißen - so viel verstand Aruula von dem nuschelnden Englisch der Plymether. Ein Mann, der von weit her kommt… ein Mann mit Maschinen aus der Zeit vor Kristofluu. Vielleicht einer der Technos…? Gehämmer und Gesäge weckten sie. Und laute Männerstimmen. Die Werftarbeiter. Sie glaubte die ganze Nacht wachgelegen zu haben, von Wachtraum in Grübelei und gleich in den nächsten Wachtraum getaumelt zu sein. Aber offenbar musste sie doch irgendwann eingenickt sein. Sonst hätte sie gemerkt, wie es hell geworden war und wie die Arbeiter über die Baracken und Schiffsgerippe hergefallen waren.
Sie schlich sich aus dem Holzlager. Niemand bemerkte sie. Ihr Magen knurrte, als sie an den Pieren entlang lief. Ihre Gedanken kreisten weiter, als hätten sie nie damit aufgehört. Der Arzt… der Masta… von weit her kam er… vielleicht aus Meeraka…?
Aruula suchte einen Weg zu Maddrax. Jede Suche muss irgendwo beginnen, an irgendeinem Punkt, ganz egal an welchem.
Kurzer hand lief sie zu dem Haus, in dem sie ihre letzten Tage als Sklavin verbracht hatte und in dem jetzt angeblich ein mächtiger Medizinmann seine Dienste anbot. Ein Mann mit einem Boot, das aussah, als könne es unvorstellbare Entfernungen überwinden. Die Entfernung z wischen ihr und Maddrax zum Beispiel…
Dass er mächtig sein musste, leuchtete Aruula ein. Wie sonst hätte er ein solch fremdartiges Schiff benutzen können mit einem eisernen Bellit darauf, größer als acht lebendige Bellits?
Ein Händler stand dort am Pier und bot Muscheln und Getreidefladen an. Er musterte sie mit einer Mischung aus Respekt und Misstrauen, während sie die schwärzlichen Muscheln begutachtete. Aruula bot ihm die Streitaxt aus der Hütte des Fischers an. Mit zwei Fladen und einem Stoffsäckchen voller Muscheln zog sie weiter. Sie schlürfte die Muscheln im Gehen aus und stopfte sich das Brot dazu in den Mund. An einem Brunnen stillte sie ihren Durst. Die Menschenschlange vor dem Torbogen des Sklavenhauses - des ehemaligen Sklavenhauses - war noch nicht lang. Vier Frauen, alle mit Kindern, und sechs Männer warteten auf Einlass. Aruula stellte sich an. Im Hof hinter dem offenen Portal standen zwei Schwarz verhüllte Torwächter. Schwertknäufe lugten unter ihren Gewändern hervor. Ihr Anblick ließ Aruula frösteln.
Eines der Kinder wimmerte im Fieber. Ein anderes trug einen Kopfverband. Ähnlich die Erwachsenen: Fiebrige Augen, verbundene Gliedmaßen, Krücken, Augenklappen oder eingefallene blasse Gesichter. Einer der Männer wurde in kurzen Abständen von trockenen Hustenanfällen geschüttelt. Aruula überlegte sich, welche Krankheit sie vortäuschen sollte, um von den Wächtern zum Masta vorgelassen zu werden.
Zeit verging, viel Zeit. Einer nach dem anderen passierte die Wächter. Aruula hörte Kinder aus dem Inneren des Gebäudes schreien.
Die Kranken, die den Hof wieder verließen, wirkten erleichtert, zuversichtlich. Wakuda- Karren ratterten über das Kopfsteinpflaster der Hafenstraße. Seeleute riefen an den Pieren.
Frekkeuscher zirpten bei den Anlegestellen, wo sie beladen wurden. Eine Abteilung in Leder gekleideter Krieger marschierte vorbei. Soldaten der Stadtregierung, vermutete Aruula.
Und dann stand sie zwischen den Torwächtern. »Was fehlt dir, Weib?«, fragte einer. Aruula wusste zunächst nichts zu antworten. Der Blick in das Gesicht des Wächters verschlug ihr die Sprache. Ein haarloses Gesicht - lang, kantig und fahl, als wäre es vertrocknet. Die Augen lagen tief in den Höhlen, darunter eine auffallend spitze Nase. Ein Nosfera, ohne
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