024 - Beim Volk der 13 Inseln
Glas mit dunkler Flüssigkeit. Ein Federkiel ragte aus dem Glas. Bücher lagen auf dem Tisch vor dem Bücherregal. Eine Landkarte hing über einem Holzgestell.
Mitten im Raum, an einem niedrigen Tischchen, auf dem eine Öllampe brannte, hockte ein hünenhafter Mann. Ein schwarzhäutiger Mann.
Doch nicht seine schwarze Haut, sondern seine Kleider waren es, die Aruula augenblicklich faszinierten: weiße Pluderhosen, ein weißer langer Mantel, weißer Turban - alles war von weißer Farbe.
Der Mann betrachtete sie aufmerksam. Fragend zog er die schwarzen Brauen hoch. Aruula wartete, bis die Frau den Raum verlassen hatte.
»Es geht um einen Mann namens Maddrax«, sagte sie dann. »Hast du diesen Namen je gehört?«
Der Mann nickte langsam und wies auf ein
.Sitzpolster ihm gegenüber an dem niedrigen Tischchen. Aruula nahm Platz, »Ein Sklave«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Kapitaan Colomb hat ihn gekauft und mit auf sein Schiff genommen.«
»Die Santanna?« Wieder zustimmendes Nicken. »Wohin segelt sie?«
Der Mann zögerte. »Wie heißt du?« Aruula sagte es ihm. »Ich bin Raspun, Kapitaan Colombs Leibsklave.« Sein Blick wanderte über ihren Fellanzug, den Schwertknauf, und blieb dann auf ihren Augen ruhen. »Ich verwalte Haus, Hof und Vermögen während seiner Abwesenheit. Warum interessiert dich das Ziel der Santanna?«
»Ich muss wissen, wo Maddrax sich aufhält.«
»Du hast also gar keine Botschaft für den ehrenwerten Kapitaan?« Aruula schüttelte den Kopf. »Ist Maddrax dein… dein Mann?«
»Ja«, sagte Aruula knapp. Sie merkte, dass der Afraner auf weitere Erklärungen wartete. Einen Atemzug lang war sie versucht, ihm von ihrem Sklavenschicksal zu erzählen. Ihr Misstrauen belehrte sie eines Besseren. »Wo finde ich ihn?«
Raspun verzog sein breites Gesicht zu einem Lächeln - ein wehmütiges Lächeln, als würde er Aruula bedauern. »Vielleicht nirgendwo mehr. Kapitaan Colomb ist zu einem fernen Land aufgebrochen. So fern, wie keiner es sich vorzustellen vermag. Viele zweifeln daran, dass die Santanna je zurückkehren wird.«
Aruulas Herz klopfte. Zu einem fernen Land… sollte dieser Colomb tatsächlich…? »Nach Meeraka?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Ja«, sagte Raspun, »woher weißt du das?«
***
Das Schwarz der Nacht verwandelte sich in dunkles Grau. Dichtes Schneetreiben hing wie ein Vorhang über Küste und Meer. Unruhig tänzelte er am Strand hin und her, er, der wusste, dass die Nacktfleische ihn meinten, wenn sie Izeekepir! schrien und die Flucht ergriffen.
Er wich vor der einsetzenden Flut zurück, sprang irgendwann doch ins Wasser, schwamm ein Stück hinaus und kehrte zurück an den Strand - die Wand aus Schneefall und Dunst raubte ihm jede Orientierung. Nicht einmal ein Schatten der Inseln war zu erkennen.
Er trottete eine Zeitlang am Strand entlang, fand zwei weitere Leichen und verschlang sie. Irgendwann hörte das Schneetreiben auf. Der Grauhimmel hellte sich etwas auf. Aus dem Dunst über dem Meer schälten sich die Konturen der Inseln. Er sprang ins Wasser und schwamm los.
Die verwaschenen Flecken am Horizont wurden deutlicher. Die schneebedeckten Hügel der ersten Insel hoben sich vom Grau des Himmels ab. Er hielt darauf zu. Keine Rauchsäulen mehr, kein Feuerschein.
Die Kälte des Meerwassers überwand nur langsam sein fettgesättigtes Fell. Seine Kräfte würden reichen, spielend würden sie reichen. Und wenn er die erste Insel erreicht hatte… die Nächste lag kaum halb so weit entfernt dahinter im Meer.
Ein kleiner Punkt löste sich von der ersten Insel, wurde größer, länger. Er reckte den Hals aus dem Wasser, schnüffelte, knurrte - Fleisch, Blut. Eines der Dinger, mit denen sie das Wasser überwanden, die kleinen Nacktfleische, keiner der großen Kästen, die er gestern gesehen hatte. Ein kurzes schlankes Holzstück - hohl und voller Beute.
Er warf sich herum und verstärkte seine Schwimmbewegungen.
Sie hockten dicht zusammengedrängt in dem hohlen Holzstück. Einige klammerten sich an Stangen fest, stemmten sich gegen sie, lehnten sich zurück und zogen sie durch das widerspenstige Meer. Das hohle Holzstück bewegte sich durchs Wasser auf den Strand zu. So schnell, dass er zornig schnaubte. Er roch ihren Schweiß, ihre Angst, seine feinen Ohren hörte ihr Gemurmel - Hunger, Hunger, Hunger…
Und plötzlich ein Schrei. Eines der kleinen Tierchen sprang auf und deutete auf ihn. »Izeekepir!«, gellte es über die Wogen. Die Gier durchglühte
Weitere Kostenlose Bücher