024 - Lebendig begraben
schafften sie in mein Haus?“
„Ja, Herr Bermann. Und …“
„Und?“
„Sie waren mausetot. Und doch leben Sie.“
Mir war plötzlich nach Spott zumute.
„Der Teufel schützt die Seinen“, sagte ich grinsend.
Sie sah mich stumm an. In ihren Augen stand Zustimmung.
„Aber das ist Unsinn!“ explodierte ich. „Und Sie wissen es.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Es lag am Gift“, fuhr ich wütend fort. „Weiß der Teufel, woher Ihr Vater es hatte. Niemand kennt seine Wirkung genau.“
„Sie waren tot“, wiederholte sie hartnäckig.
„Dass ich jünger geworden bin, beeindruckt Sie gar nicht?“ fragte ich beißend.
„Ich las davon in der Zeitung. Aber ich sah Ihr Gesicht – die Leiche nur ganz kurz und bei schlechtem Licht. Ich hätte Sie nicht wieder erkannt, wären nicht die Zeitungsbilder gewesen.“ Sie sah mich genauer an. „Haben Sie sich deshalb geschminkt?“
„Ja“, antwortete ich unbehaglich.
„Das schreiben Sie wohl auch dem Gift zu?“ meinte sie.
„Wem sonst“, erwiderte ich gereizt. „Was denken Sie? Dass ich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe?“
„Haben Sie?“ fragte sie ruhig.
„Ich weiß nicht, warum ich mich mit Ihnen über den Unsinn unterhalte“, knurrte ich.
„Vielleicht gefalle ich Ihnen“, antwortete sie schnippisch. „Wenigstens sehen Sie mich so an.“
„Das mag schon sein“, sagte ich kopfschüttelnd. „So viel Unsinn auf einem Fleck …“
Sie ließ mich nicht ausreden. „Zwei Dinge noch, und dann können Sie darüber denken, wie Sie wollen.“
„Also?“
„Vater behauptet, er hätte ein Dokument, das eindeutig beweise, dass einer Ihrer Vorfahren 1728 in Lorient einen Pakt mit dem Teufel abgeschlossen hat. Ein etwas zweifelhafter Bericht soll übermitteln, dass dieser Mann unter der Folter starb, seine Leiche aber auf seltsame Art und Weise verschwand, bevor man sie verbrennen konnte.“
Was besagte das schon? Tausende kamen in Köln unter die Folter und gestanden alles, was man von ihnen wissen wollte; Hunderttausende in Europa. Und doch war eines erstaunlich: andere Leute wussten offenbar mehr über meine Vorfahren und mein Vorleben als ich selbst; ich wusste gar nichts. Die Vergangenheit reichte bis zu meinem Erwachen im Sarg. Dahinter war das verschwommene Bild einer Kindheit, die ich nie erfassen konnte, so sehr ich mich auch manchmal konzentrierte. Ich wusste natürlich, dass ich einst auch ein Kind gewesen und zur Schule gegangen war, aber wo und wann und wie – daran erinnerte ich mich nicht.
Franziska unterbrach meine Gedanken. „Und noch etwas, das mir ebenfalls Vater berichtete: Es gibt Dokumente darüber, dass Ihr Ururgroßvater Gerard Bermann 1892 in Paris eine Schwarze Messe veranstaltete, was ihm mehrere Jahre Haft eintrug, die er nie absaß.“
„Was wurde aus ihm?“ fragte ich neugierig.
Sie hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht weiß es Vater. Ich will Ihnen gestehen, dass ich auch die Dokumente nie gesehen habe und dass Vater sie wohl erfunden haben könnte, um sich vor mir zu rechtfertigen.“
„Was sollten diese zweifelhaften Dokumente wohl aussagen? Merken Sie nicht, Franziska, dass Sie genau das tun, was Sie mir in die Schuhe schieben – Gerüchte verbreiten?“ Ich machte eine Pause. „Dass ich vom Teufel besessen bin! Glauben Sie nicht, dass es auch schon im 17. Jahrhundert Leute gab, die das alles für Unsinn hielten?“
„Vielleicht. Aber …“
„Aber was?“
„Sie glauben ja selbst!“ Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr sie rasch fort: „Glauben Sie nicht an den Zwang zum Bösen?“
„Ja“, sagte ich zögernd. „So etwas könnte wohl manchen Menschen treiben …“
„Ist das ein großer Unterschied? Zwischen dem Zwang zum Bösen und dem Teufel?“
„Wo ist Ihr Vater?“ fragte ich sie nach einer Weile.
„Haben Sie keine Angst, er kommt nicht nach Hause. Er ist nicht in der Stadt. Außerdem wird er Sie hier am allerwenigsten vermuten.“
„Sie wissen nicht, wo er ist?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist seit dem Begräbnis fort. Er fürchtete, dass Sie reden würden. Dass Sie es nicht getan haben, wird ihn sehr verwundern. Vielleicht wird er denken, dass Sie Angst haben. Nur über eines bin ich mir bei meinem Vater ganz sicher: er hasst Sie und er wird es wieder versuchen. Sie müssen auf der Hut sein!“
Ich nickte.
„Und noch etwas, möchte ich, dass Sie wissen.“ Sie wurde ein wenig bleich, als sie sagte: „Ich habe Angst vor Ihnen.
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