0240 - Totentanz im Dollar-Club
einem Zustand dahin, der mehr einer Bewusstlosigkeit als einem wachen Leben entsprach. Dabei quälte mich unaufhörlich der fürchterliche Durst. Der Hunger war auch da, aber ihn konnte man ertragen. Das Schlimmste war der Durst.
Meine Zunge war angeschwollen und füllte den ganzen Mundhöhlenraum aus, sodass ich nur noch durch die Nase atmen konnte. Die Lippen waren aufgesprungen. Am Hals juckten und stachen die Bartstoppeln.
Ich weiß bis heute noch nicht, ob ich es mir nur einbildete oder ob es Tatsache war. Am dritten Tage sah ich jedenfalls die Ratten selbst tagsüber. Vielleicht hatten sie meine Hilflosigkeit nun endgültig gewittert. Vielleicht aber bildete ich mir ihre Gegenwart nur ein. Ich wusste es nicht und werde es nie erfahren. Jedenfalls wagte ich es selbst am helllichten Tage nicht, mich gegen den Fußboden fallen zu lassen und liegen zu bleiben.
***
Als es gegen Mittag sein musste, fühlte ich auf einmal einen scharfen, brennenden Schmerz auf meiner linken Hand. Ich sah hin, konnte aber nichts entdecken, außer einem grellen Sonnenstrahl, der durch die Glasschindel des Daches herein- und genau auf meine Hand fiel.
Ich bewegte das Handgelenk um die wenigen Millimeter, die mir meine Fesseln Spielraum ließen. Und plötzlich lief es mir heiß und kalt den Rücken hinab. Die Herkunft des stechenden Schmerzes war geklärt. In einer bestimmten Höhe musste der Sonnenstrahl eine Art Brennpunkt haben. Wenn ich die linke Hand bewegungslos hängen ließ, versengte der Strahl die Härchen auf dem Handrücken. Hob ich die Hand, verschwand der Schmerz.
Mit der fieberhaften Ungeduld eines vor Durst und Erschöpfung schon halb Wahnsinnigen untersuchte ich dieses Phänomen. Ich fand die Stelle heraus, wo der Strahl seine größte Brennkraft hatte, und ich rutschte so lange auf dem Boden hin und her, bis sich einer der Lederriemen genau im Hitzezentrum befand. Ich sah deutlich, wie sich hauchdünne, blaue Rauchfädchen emporkräuselten.
Es wird sicher eine Stunde oder noch länger gedauert haben, bis ich eine dunkel gefärbte Linie quer durch einen der Riemen gebrannt hatte. Aber nun erfüllten mich die Lebensgeister von Neuem. Die Ausdauer der letzten, verzweifelten Hoffnung stärkte mich. Ich zog den Riemen auseinander und schob ihn von Neuem in den Brennpunkt des Sonnenstrahls. Vielleicht war die Wölbung des Glasschindels an dieser Wirkung schuld, vielleicht eine Blase im Glas - mochte es sein, was es wollte, die Wirkung genügte mir. Wie gebannt starrte ich auf die zwirnfadendünnen Rauchspiralen, die von dem Riemen emporkräuselten. Der Duft des verbrannten Leders erschien mir köstlicher als der des schönsten Parfüms.
Und dann hatte ich den Riemen soweit, dass ich ihn mit einer letzten, energischen Anstrengung sprengen konnte. Sofort geriet meine ganze übrige Fesselung am Handgelenk ins Rutschen. Ich konnte sie abstreifen.
Erschöpft setzte ich mich auf eine Kiste. Meine Beine waren gefühllos geworden von der langen, hockenden Haltung, in der ich hatte bleiben müssen, um meine Fesseln in den Brennpunkt des Sonnenstrahls zu bringen. Ich massierte sie, bis ich spürte, wie das Leben in sie zurückströmte.
Es wäre unter normalen Umständen keine Schwierigkeit gewesen, die Riemen an meinen Fußgelenken aufzuknüpfen. Aber meine Hände zitterten, meine Augen nahmen nur noch verschwommene Umrisse wahr - ich brauchte eine halbe Ewigkeit, und ich musste wer weiß wievielmal eine Pause einlegen.
Als ich endlich gehen konnte, kam ich bis an die abgeschlossene Bodentür. Ich trampelte sie in einem jähen Wutanfall, der gemischt war aus Verzweiflung, brüllendem Durst und einem unbändigen Willen, mich zu befreien, stückweise mit meinen Füßen auseinander, bis ich hindurchkriechen konnte.
Irgendwie kam ich hinab und auf die Straße. Ich taumelte ein paar Schritte den Bürgersteig entlang, sah in entsetzte Gesichter, hörte Frauen kreischen und sah sie eilig vor mir davonlaufen, ich bildete mir ein, ständig nach Wasser zu rufen, während in Wahrheit doch nicht mehr als ein heiseres, kaum wahrnehmbares Krächzen aus meiner Kehle kam, und dann war es mit mir einfach vorbei. Ich sah nichts mehr und stürzte nach vorn, in einen endlosen Abgrund…
***
»Das ist ja heller Wahnsinn«, rief Gal McPorton. »In ein paar Stunden spätestens hat man Unsere Jacht entdeckt!«
»Natürlich«, sagte Towell. »Es ist völlig unmöglich, dass ihr Plan gelingen kann! Völlig unmöglich! Wir leben im Zwanzigsten
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