0243 - Die Schädelkette
beiden Händen in den Koffer gefaßt und holte die Kette nun hervor. Er behielt sie auch in den Händen, hob die Arme hoch, und seine Mundwinkel zuckten. Die einzige Reaktion, die man ihm überhaupt anmerkte.
Seine Augen schauten sich jeden Schädel genau an, während er mit den Händen darüber tastete.
Herrlich, wie der Mann es geschafft hatte, die wertvollen Diamanten in die Gebeine zu integrieren. Sie füllten die Augen aus, waren zusammengefügt worden, und man konnte sie jetzt als ein festes Gebilde bezeichnen.
Ohne es eigentlich zu wollen, atmete der Milliardär schneller. Er wußte selbst nicht, wie das kam, aber seit er die Kette in der Hand hielt, war alles anders.
Hatte sich sein Leben verändert? Ein verrückter Gedanke, doch es schien so zu sein. Etwas ging in seinem Innern vor und ergriff von ihm Besitz. Es war eine fremde Macht, die er weder lenken, steuern noch kontrollieren konnte.
Seine Finger bewegten sich. Sie tasteten die Schädel ab, fühlten bei jedem nach und stellten fest, daß sich die beinerne Oberfläche irgendwie erwärmt hatte.
Es war ihm, als würden die Schädel leben.
Kein äußeres Leben, denn sie bewegten sich nicht, sondern ein inneres.
Konnten die Schädel ihn vielleicht beeinflussen? Strahlten sie Wellen oder Gefühle ab?
Der harte Mann schauderte zusammen. Er wollte es sich selbst gegenüber kaum zugeben, aber er stellte mittlerweile fest, daß die Schädelkette eine gewisse Macht über ihn bekam.
Ausgerechnet über ihn, wo er sich von keinem Menschen etwas sagen oder hineinreden ließ.
»Sir, kann ich jetzt gehen?« erkundigte sich der Juwelier.
»Ja.«
»Danke.« Der Mann bückte sich und schloß den Koffer. Er hob ihn an und blieb für einen Moment unschlüssig stehen. Wieder rückte er seine Brille zurecht, bevor er fragte: »Da wäre vielleicht noch die finanzielle Sache zu klären, Sir…«
Van Dyck schien aus einer tiefen Trance zu erwachen. Er zuckte hoch.
Seine Stirn legte sich in Falten, und er fragte mit heiser klingender Stimme: »Was habe ich gesagt?«
»Tausend!«
Für einen Moment verengten sich die Augen des Milliardärs zu schmalen Schlitzen, dann nickte er, griff in die Tasche und holte ein Bündel Geldnoten hervor. Er warf es dem Juwelier rüber. »Das wird reichen«, sagte er.
Der Mann schnappte das Geld wie ein Hund den Knochen. Und so kam er sich auch vor. Wieder stieg der Haß gegen diesen Milliardär in ihm hoch. Er war wie eine Flamme, die man nicht löschen konnte. Das Geld steckte er ein, ohne nachzuzählen. Er wollte so rasch wie möglich das Haus verlassen und wußte selbst nicht, wie er es schaffte, sich trotz allem noch ein Lächeln abzuringen.
»Vielen Dank, Sir! Wenn ich Ihnen mal wieder behilflich sein kann, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.«
»Schon gut. Ich kenne Ihre Anschrift.« Van Dyck wedelte mit der Hand.
Er wollte allein sein.
Der Juwelier ging. Es glich schon mehr einer Flucht, so, wie er das Haus verließ. Durch das große Fenster beobachtete van Dyck ihn. Ein geringschätziges Lächeln lag auf seinen Lippen. Alles Kriecher, dachte er, widerliche Schleimer.
Der Juwelier stieg in seinen cremefarbenen BMW und brauste davon, verfolgt von den Blicken des Milliardärs und dessen Chauffeurs. Als der Wagen nicht mehr zu sehen war, drehte sich van Dyck abrupt um. Durch die weite Halle ging er in sein Arbeitszimmer, einen ebenfalls fußballfeldgroßen Raum, der mit antiken Möbeln eingerichtet war. Sogar die zahlreichen Bücherregale besaßen einen gewissen Wert. Die darin stehenden Werke ebenfalls. In ihnen war die Geschichte der Diamanten verewigt.
Vorsichtig legte van Dyck die Kette auf den Schreibtisch. Sie wirkte makaber und deplaziert zwischen den modernen Geräten und der Telefonanlage.
Die Schädel lagen so, daß die Gesichter den Mann anstarrten. Abermals sah er in den Augenhöhlen die zahlreichen Diamanten. Das Licht fiel auf die wertvollen Stücke, wurde gebrochen, und van Dyck badete sich in dessen Schein.
Dieses Funkeln und Gleißen waren für ihn das Größte überhaupt. Die Schädelkette gehörte jetzt ihm. Er würde sie nicht mehr aus der Hand geben, denn er hatte das Gefühl, daß sie ihm eine sonst nie erlebte Macht verlieh.
Peter van Dyck wollte sie mitnehmen. Auch nach London…
***
Die Schlucht der stummen Götter!
Ich war noch nie hiergewesen, wußte jedoch durch den Eisernen Engel, daß es sie gab. Er hatte sie mir so genau beschrieben, daß ich sie erkannte, während wir allmählich
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