0244 - Der Seelen-Vampir
lange Zeit, bis die nächste Welle anrollte, und diese Spanne nutzte er.
»Da steckt Tarrasco!« Suko deutete von mir aus gesehen nach rechts. Ich brauchte den Felsen erst nicht zu erklettern, sondern sah auch von meinem Standort aus, wo sich der Vampir aufhielt. Er war durch die anrollende Welle von seiner festen Unterlage gespült worden und lag unglücklich eingeklemmt zwischen zwei Felsen.
Die Arme ragten aus dem Wasser. Beide Hände hielt er rechts und links in das Gestein gekrallt, und so versuchte er, sich aus dem Wasser zu ziehen, bevor die nächste Welle anrollte.
Dabei schrie er.
Vampire vertragen fließendes Wasser nicht, war es bei ihm auch so?
Er mobilisierte seine Kräfte, und wir sahen die Hände plötzlich rot aufleuchten.
Die nächste Welle!
Sie donnerte gegen die weit ins Wasser geschobenen Felsen, wurde gebrochen und fand trotzdem noch ihren Weg. Das meiste Gestein wurde überspült. Helle Schaumstreifen wirbelten und schäumten herbei. Sie erfaßten alles.
Auch den Seelensauger.
In seiner Felsspalte, die von der heranrollenden Welle überschwemmt wurde, war er plötzlich nicht mehr zu sehen.
Auch ich kam nicht schnell genug weg und wurde von dem Wasser erfaßt, obwohl ich schon dorthin sprang, wo auch der Vampir lag. Die auslaufende Welle hatte noch Kraft, obwohl sie nur bis zum Knie reichte. Fast hätte sie mich umgerissen. Sekundenlang war mir die Sicht durch den Gischtvorhang genommen.
Als ich wieder den »Durchblick hatte«, erkannte ich auch den Seelenvampir. Er klemmte noch in der Spalte zwischen den Felsen, hatte seinen Kopf erhoben, so daß ich in das Gesicht schauen konnte.
Es war verzerrt.
Tarrasco mußte Todesängste durchstehen, und das fließende Wasser war dabei, den Seelenvampir zu zerstören.
Die Haare schwemmte es bereits weg, so daß eine grau schimmernde Kopfhaut zum Vorschein kam.
Er würde noch nicht sterben. Vielleicht dauerte es eine Stunde, bis das fließende Wasser ihn zerstörte.
Ich ging in die Knie. Unsere Blicke trafen sich. Er verzerrte sein Gesicht, wobei ich erkannte, daß die Haut auf seiner Stirn einen weißlichen Schimmer angenommen hatte und sich bestimmt bald lösen würde.
»Da kommt die nächste Welle!« rief Suko.
Die wollte ich nicht mehr erwarten, sondern dem Seelensauger die anderen Qualen ersparen. Er hatte uns schließlich auf die Spur nach Rumänien gebracht.
Ich nahm mein Kreuz.
Als er sah, daß sich meine Hand mit dem Kruzifix seinem Gesicht näherte, da drehte er fast durch und begann gellend zu schreien.
»Neiiinnnn!« Furchtbar war dieser Ruf, und er verstummte erst, als ich das Kreuz gegen sein Gesicht preßte.
Da erfaßte uns die Welle.
Ich mußte mich festklammern, um nicht umgerissen zu werden, aber ich fand den Halt.
Die Welle lief ab, Suko stand plötzlich neben mir und starrte zusammen mit mir auf das, was von Tarrasco zurückgeblieben war.
Nicht viel…
Fragmente eines Schädels, widerlich anzusehen. Knochen und eine gallertartige Masse dazwischen.
»Das war’s wohl«, meinte Suko.
Nein, es war noch nicht alles, denn einen Augenblick später lösten sich die Schemen aus dem vergehenden Körper des Seelen-Vampirs.
Helle, flatternde Streifen, die ihren Weg in Richtung Himmel suchten und für uns nur kurz zu sehen waren, bevor sie sich auflösten.
Jetzt waren auch die Seelen seiner Opfer erlöst und konnten ihre ewige Ruhe finden.
Ich stand auf.
Naß bis auf die Haut war ich und merkte erst jetzt, wie schneidend der Wind war.
Suko grinste. »Bevor wir oben sind, bist du wieder getrocknet, Alter. Los komm!«
Der Vorschlag war gut. Hier hatten wir nichts mehr verloren.
Cornwall konnten wir vorerst vergessen, den Fall allerdings nicht, denn Rumänien, das Land der Vampire, wartete auf uns.
Und auch Marek, der Pfähler…
ENDE des ersten Teils
[1] Siehe John Sinclair Nr. 217 »Die Hexeninsel«
[2] Siehe John Sinclair Nr. 243 »Die Schädelkette«
[3] Siehe John Sinclair Nr. 139 »Im Land des Vampirs«
[4] Siehe John Sinclair Nr. 242 »Werwolf-Terror in Soho«
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