025 - Die toten Augen von London
einen der ruhigsten Plätze in Bloomsbury, an dem sich eine Reihe von Anwaltsbüros befand. Vor einem schmalen, hohen Gebäude stieg er aus. Als er in die Halle trat, sah ihn der Portier skeptisch an.
»Die Büros sind schon seit Stunden geschlossen, Sir. Sie werden erst morgen früh um neun Uhr wieder geöffnet.«
»Ist Doktor Judd noch da?« fragte Flimmer-Fred und schob seine Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen.
Der Portier zögerte einen Augenblick.
»Mr. Judd arbeitet noch, aber ich glaube nicht, daß er gestört werden möchte.«
»So, Sie glauben das nicht? Sagen Sie dem Herrn, daß Mr. Walter Smith ihn zu sprechen wünscht. Merken Sie sich - Smith, ein ungewöhnlicher Name!« schloß er jovial.
»Ich werde bloß Unannehmlichkeiten haben«, brummte der Portier und griff nach dem Telefonhörer. Nach einem kurzen Gespräch legte er wieder auf. »Er will Sie empfangen, Sir. Ich fahre Sie gleich nach oben.«
»Sie sollten mich allmählich kennen«, sagte Fred im Lift. »In den letzten Jahren bin ich regelmäßig hierhergekommen.«
»Vielleicht hatte ich gerade keinen Dienst. Wir sind zu zweit hier. Waren Sie vielleicht ein Freund von Mr. David, Sir?«
Fred verzog keine Miene. Langsam stieg der Aufzug.
»Nein, ich habe Mr. David nicht gekannt.«
»Ja, das war eine traurige Geschichte. Er ist vor vier Jahren plötzlich gestorben.«
Fred wußte dies sehr gut. Der Tod Mr. Davids hätte ihn beinahe einer Einkommensquelle beraubt, einer rechtmäßigem, wie er es nannte, während ihm dieses Einkommen jetzt nur noch als ›Gunst‹ zufloß. Er konnte es jeden Augenblick verlieren und dafür einige Jahre Gefängnis gewinnen, falls Mr. Judd einmal die Geduld verlor und sich nicht mehr erpressen lassen wollte.
Der Aufzug hielt. Der Portier klopfte an eine Tür. Eine laute Stimme forderte sie zum Eintreten auf. Flimmer-Fred stolzierte in das elegant eingerichtete Büro, als wäre er zu Hause.
Dr. Judd war aufgestanden. Er warf dem Portier eine Silbermünze zu, die dieser geschickt auffing.
»Holen Sie mir bitte ein paar Zigaretten!«
Stephen Judd war ein großer, kräftiger Mann mit blühendem Gesicht, hoher Stirn und tiefliegenden Augen. Er strahlte eine robuste Behaglichkeit aus.
»Na, Doktor«, sagte Fred, »da bin ich wieder!« Als er sah, wie Judd krampfhaft seine Taschen durchwühlte, fragte er: »Was suchen Sie - Zigaretten?« Er hielt ihm sein Etui hin.
»Danke bestens, Mr. Grogan, ich rauche nie Zigaretten, die mir Herren Ihres Standes anbieten!«
»Was heißt das? Glauben Sie, ich will Sie betäuben?«
Dr. Judd antwortete darauf nicht. Er setzte sich.
»Ich habe Sie erwartet. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie eine außerordentlich starke Abneigung gegen Schecks.«
Flimmer-Fred grinste.
»Stimmt - eine Schwäche von mir.«
Judd zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und ging zum Geldschrank. Über die Schulter blickend rief er:
»Sie brauchen nicht so genau aufzupassen, alter Freund! Ich habe nie Geld in meinem Schrank, außer wenn ich Erpresser erwarte.«
Fred machte eine Grimasse.
»Scharfe Worte haben mich noch nie umgebracht.«
Dr. Judd nahm einen Umschlag heraus, schlug die Tür zu und verschloß den Schrank. Langsam kam er zum Schreibtisch zurück, nahm ein Notizbuch aus dem Schubfach und blätterte darin.
»Sie sind drei Tage zu früh gekommen.«
Fred nickte bewundernd.
»Einen Kopf für Zahlen haben Sie, Doktor! Phantastisch! Es stimmt, ich bin drei Tage früher gekommen, weil ich sehr schnell wieder nach Nizza abreisen muß.«
Judd warf ihm den Umschlag über den Tisch hinweg zu.
»Es sind zwölfhundert Pfund in dem Kuvert, Sie brauchen es nicht nachzuzählen, es stimmt genau.« Er lehnte sich im Stuhl zurück und zog einen goldenen Zahnstocher aus der Westentasche. »Ich bin selbstverständlich ein Narr, daß ich eine solch schändliche Erpressung ertrage! Ich tue es nur, um das Andenken an meinen Bruder von Verleumdung freizuhalten.«
»Wenn Ihr Bruder sich damit amüsiert, in Montpellier einen Mann niederzuschießen, und wenn ich zufällig dazukomme und ihm helfe zu entwischen - ich kann beweisen, daß ich das getan habe -, dann darf ich wohl Anspruch auf eine kleine Entschädigung erheben!« »Sie sind ein unglaublicher Schuft«, erwiderte Dr. Judd beinah freundlich, »und Sie amüsieren mich. Nehmen Sie an, ich wäre nicht so, wie ich nun einmal bin! Nehmen Sie an, ich wäre verzweifelt und könnte das Geld nicht auftreiben! Was dann? Ich könnte Sie . .
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