025 - Die toten Augen von London
gekränkten Kindes. Etwas anderes schien ihn nicht zu bewegen.
»Öffnen Sie die Tür!« keuchte sie. »Befreien Sie Larry Holt -oder ich schieße Sie nieder!«
David runzelte die Stirn, seine Hand legte sich auf die Marmorplatte des Kamins. Sie sah, wie seine Finger einen Knopf berührten. Das Licht ging aus. Sie gab Feuer.
Der Knall betäubte sie beinahe. Im nächsten Augenblick wurde sie gepackt, starke Arme umklammerten sie. Als das Licht anging, warf David sie in den Sessel und blickte sie wütend an.
»Sie haben meine Vorlesung unterbrochen«, jammerte er und weinte fast. Dr. Judd blickte ängstlich auf seinen Bruder, der immer unverkennbarer in die Manier des Geisteskranken verfiel. Jetzt packte er das Mädchen um die Taille, hob sie auf und stellte sie auf die Füße. In seinen Augen standen Tränen. In einer unvermuteten Anwandlung stieß er sie wieder weg.
»Ich glaube, Bruder, er ist jetzt tot«, wandte er sich an den Doktor, der erleichtert seufzte.
»Ja, jetzt ist er tot. Das Wasser steigt einen halben Meter in zwei Minuten.«
»In einer Minute fünfzig Sekunden«, korrigierte David.
»Um Gottes willen, retten Sie ihn doch!« Diana brach schluchzend zusammen.
»Das Wasser strömt sehr schnell durch die kleinen Löcher ein«, erklärte David. »Wir pumpen es vom Dach des Hauses i n den Keller. Wissen Sie, wir haben oben einen sehr großen Wassertank, und die Person, die ertränkt wird, kann nicht schwimmen, weil die Gewichte am Fuß sie festhalten. Einmal gelang es einem, aufs Bett zu klettern - erinnerst du dich noch?«
»Natürlich, sehr gut«, erwiderte der Doktor leichthin. »Wir mußten fast drei Meter Wasser hineinpumpen, bevor er starb.«
Erstarrt lauschte sie dieser Konversation. War es nur ein gräßlicher Alptraum?
»Und dabei nimmt es soviel Zeit in Anspruch, den Keller wieder leer zu pumpen«, erzählte David in gleichem Ton weiter. »Es war rücksichtslos von dem Mann. Er hat uns unnötige Arbeit gemacht. Wir mußten das Bett trocknen. Hast du übrigens gesehen, Bruder, daß die Kette rostig geworden ist? Das ist nicht in Ordnung, es beleidigt meine Augen.« Gedankenvoll blickte er auf Diana hinab. Auf einmal zuckte er zusammen und fuhr herum.
Jemand hatte geräuschlos das Zimmer betreten. »Keine Bewegung! Widerstand ist zwecklos! Verstanden?« In der Tür stand, den Revolver in der Hand, Larry Holt. Von der Halle her hörte man das Geräusch einer splitternden Tür.
»Polizeibeamte sind schon im Haus«, sagte Larry und kam langsam naher. Jetzt stand er David gegenüber, der ihn unter seinen buschigen Augenbrauen hervor finster fixierte. Dann ging alles blitzschnell vor sich. Larry sah die Hand, die sich bewegte, ein Luftzug fuhr an seiner Wange vorüber, die Wandtäfelung hinter ihm zersplitterte krachend, beide Schüsse hatten wie ein einziger geklungen.
David Judd schwankte einen Augenblick hin und her. »Meine wunderbaren Dramen!« krächzte er mit brechender Stimme und sackte ohne ein weiteres Won auf dem Boden zusammen.
»David, David!« Dr. Judd warf sich über ihn. »David, nicht schauspielern, ich ertrage es nicht, wenn du das machst! Ich will dir die besten Schauspieler für deine Stücke verschaffen, hör auf damit, David! Sagen Sie ihm doch, daß er aufhören soll!«
Mit dem rauchenden Revolver in der Hand schaute Larry auf den großen, schweren Mann hinunter, der da auf dem Boden neben der Leiche herumkroch.
»Mr. Holt, Sie haben Einfluß auf ihn«, jammerte der Doktor, »bitte sagen Sie ihm, er soll nicht schauspielern, es ängstigt mich, ich kann es nicht ertragen, wenn er das tut. Manchmal hat er stundenlang in diesem Zimmer gespielt - Szenen aus seinen wundervollen Stücken. Sie müssen ihn bitten, Ihnen etwas vorzulesen, Mr. Holt... David!«
Doch von David kam keine Antwort mehr.
Der Doktor stand auf, ging auf Larry zu, legte ihm seine große Hand auf den Arm und hob den Kopf.
»Es - tut mir leid«, sagte er heiser. »Armer Junge!«
Er sah Larry Holt fest in die Augen.
»Mr. Holt, ich habe mich vorhin absolut kindisch betragen, aber ich bin völlig bei Verstand. Ich übernehme die volle Verantwortung für alle meine Handlungen - und auch für die meines Bruders. Es ist mir völlig klar, was ich getan habe.«
Harvey kam ins Zimmer gestürzt. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, blieb er stehen. Larry winkte ihn heran.
»Lassen Sie ihn wegbringen.«
»Ich wünschte, wir hätten Sie erledigen können!« murmelte Dr. Judd, als er abgeführt wurde.
Diana
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