025 - Die Treppe ins Jenseits
eigentlich herauszufinden?«
Sie hob den Blick wieder und achtete auf jede Reaktion in dem markanten,
gebräunten Gesicht des energischen Mannes, der ihr gegenübersaß.
»Ich erwarte eine Aufklärung über den Tod Ihres Vaters. Die Tatsache, dass
man dem Besitzer des Landhauses Unheil zuschreibt, spielt dabei keine
untergeordnete Rolle. Ich bin vielleicht zu Ihrem Schutz gekommen, Miss Baynes,
denn ich will weiteres Unheil abwenden, wenn das stimmt, was man erzählt.«
Sie starrte ihn an. »Sie glauben daran?« fragte sie benommen, und sie
setzte schon an, um ihm den Traum zu erzählen, den sie letzte Nacht gehabt
hatte. Doch dann unterließ sie es.
»Vielleicht.«
»Sie werden früher Gelegenheit haben, die unheimliche Treppe zu sehen, als
Ihnen lieb ist, Mister Brent. Mein Vater hat in seinem Testament bestimmt, dass
sich alle Erbberechtigten in dem Landhaus einzufinden haben. Als mein Chauffeur
werden Sie mich dorthin begleiten.«
Lord Callaghan hatte sich ganz in
die Stadt zurückgezogen. Er lebte seit dem Verkauf seines Anwesens an der
Steilküste und einiger Güter in einem Apartmenthaus für ältere Bürger. Hier
wohnte er unter seinesgleichen, Männern und Frauen, die einst hohe Stellungen
bekleidet hatten, Ärzten, Rechtsanwälten, überhaupt sehr vielen Akademikern,
die ohne Anhang und in einem solchen Haus am besten aufgehoben waren.
Lord Callaghan war mit seinen siebzig Jahren ein schlanker, etwas
zerknittert aussehender Mann. Die Barmittel, die er durch den Verkauf seiner
Besitztümer in die Hand bekommen hatte, ermöglichten es ihm, sich den Luxus
eines Dieners zu leisten.
Der Butler war auch nicht mehr der jüngste. Im Gegenteil! Mit seinen
fünfundsiebzig war er klappriger als der Herr, dem er diente. Aber seine
Aufgaben beschränkten sich darauf, Drinks zu mixen und Karten von Besuchern
entgegenzunehmen.
Der alte George gehörte zum Inventar der Callaghans.
Der Vater des alt gewordenen Lords hatte George eingestellt, als Randolph
Callaghan seinen einundzwanzigsten Geburtstag feierte. George war gewissermaßen
sein Geburtstagsgeschenk gewesen. Von nun an unterstand ihm ein eigener Diener.
Den Callaghans war es nie schlecht gegangen. Trotz jenes rätselhaften,
geheimnisumwitterten Fluches, der angeblich über der Familie lag.
Gerade dieses Fluches wegen suchte John Hawkins von der Mordkommission den
alten Lord in seinem Apartment auf. Trotz seines Alters war Lord Callaghan
nicht bereit, nur mit zwei oder vielleicht auch drei Zimmern vorlieb zu nehmen.
Es gab so viele persönliche Erinnerungsstücke aus seinem langen, aufregenden
und vielseitigen Leben, dass er sich nur schwer von ihnen trennte.
Besonders die Bibliothek, die mehr als viertausend Bände umfasste, lag ihm
am Herzen. Dafür benötigte er einen ganzen Raum. Ein weiteres Zimmer hatte er
als Galerie eingerichtet, wo seine kostbarsten Gemälde hingen. Es war eine
seiner Lieblingsbeschäftigungen, in den alten Folianten zu blättern oder
gedankenversunken vor einem Bild zu sitzen und sich von der Stimmung des Malers
begeistern zu lassen.
In einem Raum wohnte George. Beiden Männern gefiel die Großzügigkeit, und
sie genossen dieses Altenasyl, weil sie sich um manches nicht mehr zu kümmern
brauchten. Für das Essen wurde gesorgt, ebenso für die anfallenden Arbeiten.
Herr und Diener genossen ihre alten Tage und saßen abends stundenlang
beisammen, um sich zurückliegende Dinge zu erzählen, die sie gemeinsam erlebt
hatten. Aber keiner nahm es dabei mit der Wahrheit so genau, und so kamen oft
haarsträubende Geschichten zustande, die mehr Dichtung als Wahrheit enthielten.
»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen, Mylord«, sagte der Diener und schlurfte
in den Raum. Seine alten Beine trugen ihn nicht mehr so recht. Dass er
zusätzlich wankte, rührte von den drei Sherrys her, die er getrunken hatte.
Wenn sie unter sich waren, redeten sie sich mit du an. Aber bei offiziellen
Anlässen – wie ihn John Hawkins' Besuch zweifellos darstellte – blieb George
förmlich.
»Was will er?« Lord Callaghan blickte auf, ohne den Billardstab aus der
Hand zu legen.
»Er möchte Sie sprechen.«
»Aha. Und woher kommt er?« Lord Callaghan wartete, bis George ihm das
silberne Tablett vorhielt. Er griff nach der Karte. »Mister Hawkins, von der
Mordkommission. George, haben Sie irgendwelche Dummheiten gemacht?«
»Aber Sir!«
»Schön, dann werden wir den Fall sofort aufrollen. Führen Sie den Herrn in
die Bibliothek!«
Dort traf
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