0251 - Der Erbe des Bösen
schürzte die Lippen. »Da stimmt etwas nicht«, gab er zu. »Es sei denn…«
»Es sei denn, was?« fragte Gryf.
Zamorra dachte an das merkwürdige Erwachen des Schädels. »Es sei denn, die Rede ist von Ansu Tanaar. Der Schädel hat sich bekanntlich selbständig gemacht.«
Gryf pfiff durch die Zähne. »Das könnte hinhauen, großer Meister. Dann bräuchten wir eigentlich nur noch Ansu zu finden und haben auch das Tor.«
»Bevor wir es öffnen, haben wir aber noch eine Menge zu tim«, sagte Zamorra. »Und zwar müssen wir den Chibb helfen, daß der Aufstand gegen die Meeghs mit möglichst wenigen Opfern vonstatten geht. Ich habe da schon eine Idee. Hört zu…«
***
Leonardo de Montagne nickte zufrieden. Sein prüfender Blick ging über die Reihe der Sklaven, die die Arbeit am Thron soeben beendet hatten.
Er war fertig.
Die Gesichter der Männer waren bleich. Sie wußten genau, welches Material sie da mit verarbeiten mußten! Grinsend schritt Leonardo an ihnen vorbei, die beiden Stufen des Podiums hinauf, und ließ sich dann auf die Sitzfläche nieder.
Seine Arme berührten die seitlichen Lehnen. Die Fingerkuppen glitten über die bleichen Knochen.
Menschenknochen waren hier verarbeitet worden. Sie waren noch gar nicht so alt. Erst ein paar Stunden! Die Toten, die der Überfall im Dorf gekostet hatte, würde niemand mehr finden…
»Gute Arbeit«, stellte Leonardo fest. »Der Thron gefällt mir. Ich danke euch«, und es klang mehr als nur spöttisch.
Leonardo de Montagne verachtete jene, die er knechtete. Er stand so weit über ihnen, daß er es als große Gnade und Huld betrachtete, sie überhaupt anzusprechen. Als Gesellschaft zog er die Skelett-Krieger vor. Wer waren denn schon diese Menschen? Was wußten und konnten sie? Knochenthrone bauen, ja! Dienen, ja! Vor ihm im Staub kriechen! Er dagegen war durch das heißeste Feuer der Hölle gegangen und darin zu einem Wesen von unmenschlicher Härte und Grausamkeit geschmiedet worden. Sein erstes Leben sollte gegen das verblassen, was er jetzt zu vollbringen gedachte.
»Wirst…, wirst du uns und die Unseren nun freilassen?« fragte Jean »Obelix« heiser. Es kostete ihn große Überwindung, den Knochenthron anzusehen, und die Erinnerung daran, daß er ihn mit geformt hatte, drehte ihm immer wieder den Magen um.
»Warum?« fragte Leonardo erstaunt. »Ihr werdet mir natürlich auch weiterhin zu Diensten sein! Es gibt viel zu tun… Arbeiten, die ich meinen Kriegern nicht zumuten kann! Aus meinen Augen! Schafft sie fort!«
Skelett-Krieger traten vor und griffen nach den Männern.
Jean »Obelix« wuchs über sich selbst hinaus. Er hoffte, die anderen mitreißen zu können, aber sie rührten sich nicht, sahen nur erstarrt zu, was er tat.
Er duckte sich unter dem Griff, riß einem Krieger das Schwert aus der Scheide und dachte an Jean Villeblanche, den sein Widerstand bei der Entführung das Leben kostete. Jean entwickelte eine Beweglichkeit, die niemand seinem verfetteten Körper zutraute. Das Schwert beschrieb einen Bogen, trennte einen Schädel vom Skelettrumpf, und dann jagte Jean die Podeststufen empor.
Leonardo de Montagne rührte sich nicht.
Mit einem wilden Aufschrei stieß Jean mit dem Schwert zu. Im gleichen Moment, in dem die Spitze die ungeschützte Brust des Schwarzmagiers berührte, glühte die Waffe auf, zerschmolz und zersprühte feurig leuchtend nach allen Seiten. Jean prallte gegen Leonardo. Der Schwarzmagier machte eine schnelle Handbewegung. Sein rechter Mittelfinger berührte Jeans Stirn.
Jean schrie, während sein Körper sich aufzulösen begann. Das Fleisch wurde durchsichtig und verschwand. Nur das von der jetzt viel zu weiten Kleidung umschlotterte Skelett stand noch da.
Leonardo grinste und weidete sich am Entsetzen der anderen Männer.
»Du hast Mut gezeigt, mein Freund«, sagte er. »Das will ich dir lohnen. Du darfst als Krieger für mich kämpfen. Man wird dir eine Rüstung geben. Geh!«
»Ich höre und gehorche«, röchelte das Jean-Skelett, verneigte sich tief und stapfte davon.
Fassungslose Menschen wurden aus dem Saal gezerrt, in ihre Kerkerzellen. So lange, bis Leonardo sie wieder für schaurige Arbeiten benötigen würde…
Der Schwarzmagier lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Und nun«, sagte er, »werden wir einmal schauen, was Zamorras Freunde machen.«
Sein Geist ging auf Reisen und suchte nach den Gedanken der Gegner…
***
Rund sechshundert Kilometer Luftlinie vom Château Montagne entfernt
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