0259 - Ich stürmte den rollenden Sarg
wuchs.
Als er es merkte, war es zu spät. Er krachte dagegen.
Sein Griff lockerte sich, die Hände wurden ihm förmlich weggerissen, und plötzlich befand er sich zwischen den Wagen und dem Boden.
Er fiel.
Die nächsten Szenen bekam der Kommissar wie in der Zeitlupeneinstellung eines Films mit. Er sah alles genau, während er näher kam, und der wirbelnde Körper bekam einen Drall nach links.
Dort befanden sich die Schienen und die Räder.
Auf einmal war ein Teil des Körpers verschwunden. Für die Räder war er kein Hindernis.
Kommissar Mallmann keuchte schwer. Mehr taumelnd als gehend schritt er parallel zu den vorbeifahrenden Güterwaggons entlang, spürte den Windzug, der an seiner Kleidung zerrte, und hatte Sekunden später freie Sicht, als der Zug ihn überholt hatte.
Will blieb stehen.
Auf den Schienen lag etwas. Ein dunkler Klumpen. Der Kommissar wußte, daß die Räder der Wagen wie Messer wirkten. Und das hatten sie auch getan.
Mallmann mußte sich überwinden, um näher an das heranzugehen, was einmal der Wertiger gewesen war.
Was die Kugeln nicht geschafft hatten, war nun erledigt worden. Die Räder hatten die Bestie geköpft.
Es gab keinen Wertiger Stefan Franke mehr, und Will Mallmann spürte so etwas wie Genugtuung in sich hochsteigen. Automatisch steckte er seine Waffe weg und drehte sich um, da er hinter sich Schritte hörte.
Kommissar Kölzer kam angerannt. »Was ist geschehen?« rief er noch im Laufen.
Will Mallmann deutete auf den Körper.
Kölzer blieb stehen. Dann ging er vorsichtig und schweratmend weiter.
»Ist er tot?«
»Ja.«
Der Kommissar schüttelte sich. »Das ist ein Sieg für uns.«
Will Mallmann nickte. »Und was für einer, mein Lieber. Aber im Ernst: Was wir nicht schafften, das hat der Zug vollbracht. Ich meine, daß es doch irgendwie noch eine Gerechtigkeit auf der Welt gibt, trotz allem.«
Kölzer nickte. Sein Gesicht zeigte einen ernsten Ausdruck. »Es ist gut, daß es so gekommen ist. Was hätte da noch alles passieren können!«
Eine Gänsehaut rann über seinen Nacken, als er daran dachte.
»Ich teile zwar Ihren Optimismus, mein Lieber, möchte ihn aber gleichzeitig dämpfen.«
»Wieso?«
Bevor Will eine Antwort gab, wischte er über sein Gesicht. »Überlegen Sie mal. War Stefan Franke der einzige, der angegriffen worden ist?«
Kölzers Augen wurden hinter den Brillengläsern klein. »Sie meinen, ob nicht noch mehr…?«
»Genau.«
»Au, verdammt«, murmelte der kleine Kommissar. »Da müßte ich eigentlich mal in den Akten nachschauen. Von Franke haben wir es ja bestätigt bekommen, aber andere…«
»Ich habe bereits in den Akten nachgeschaut«, erklärte Will Mallmann.
»Und?«
»Mir ist da ein Name aufgefallen«, erwiderte er. »Der Name einer Frau, die ebenfalls in diesen Kreislauf hineingeraten ist.«
»Wer ist es denn?«
Will schaute über den Kommissar hinweg. Jetzt eilten auch die Polizisten herbei. Allen voran die Scharfschützen mit ihren Präzisionsgewehren.
»Päuse«, sagte Will. »Erinnern Sie sich noch an die Freundin von Gerd König?«
»Ja, zum Teufel, da fällt es mir ein. Barbara Päuse!« Kölzer schlug sich gegen die Stirn. »Daß ich nicht schon eher darauf gekommen bin.«
»Dann haben Sie auch keinen Kontakt zu ihr gehabt?« erkundigte sich Will.
»Nein.«
»Das ist schlecht.«
Kölzer verteidigte sich. »Sie wissen ja, wie das ist. Aus den Augen, aus dem Sinn.«
»Trotzdem müssen wir nachhaken. Noch in dieser Nacht. Kommen Sie, Kollege, es brennt!«
»Aber hier…« Plötzlich war der gute Kommissar Kölzer durcheinander.
Er galt als ein hervorragender Stratege, als Mann des Computers; er hatte in der Tat schon ein paar Fälle durch seine Rechner gelöst, durch logisches Denken, durch Intuition. Aber hier auf dem Güterbahnhof, wo es galt, Entscheidungen zu treffen, da zeigte er sich ein wenig verstört.
Zudem wurde er von den uniformierten Polizisten mit Fragen bestürmt.
Will Mallmann sah ein, daß er seinen Kollegen nicht so ohne weiteres wegbekommen konnte. Aus diesem Grund erklärte er ihm, allein nach Barbara Päuse zu forschen.
»Warten Sie noch, Herr Mallmann. Ich…«
»Sie bekommen später Bescheid«, erklärte Will und ging. Ein Blick auf seine Uhr bewies ihm, daß er viel zuviel Zeit verloren hatte. Mit John Sinclair war er verabredet gewesen. Der Geisterjäger saß sicherlich im Hotel und bekam platte Füße.
Wills Ziel war sein Manta. Er hatte ihn dort abgestellt, wo der Güterbahnhof
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