0259 - Ich stürmte den rollenden Sarg
dagewesen [4]
Und zwar hatte sie sich in einem Baum versteckt.
Das war doch eine Möglichkeit.
Plötzlich leuchtete ich nach oben. Viel war nicht zu sehen. Nur ein Vorteil befand sich auf unserer Seite. Die Bäume besaßen noch keine Blätter.
Sie waren also ziemlich durchlässig.
Suko verstand natürlich sofort, was ich meinte. Er folgte mit seinem Blick dem Strahl der Lampe und ging auch zur Seite, um besser sehen zu können.
In den ersten Minuten hatten wir Pech. Aber wir gaben nicht auf und suchten weiterhin die Kronen der Bäume ab, so gut es ging.
Als ich schräg hinter mir das Krachen und Brechen von Ästen hörte, wußte ich Bescheid.
»John, weg!«
Ich warf mich zur Seite, prallte zu Boden und sah schräg vor mir einen Körper fallen.
Diesmal würde mich die Bestie erwischen!
***
Zum Glück hatten weder Suko noch ich unsere Waffen bei der Suche weggesteckt. Auch jetzt hielten wir sie fest, und das machte sich bezahlt.
Die Wertigerin kam mit der Wucht eines Tornados. Sie wollte endlich ihre Gegner vernichten. Ich sah sie für den Bruchteil einer Sekunde in all ihrer widerlichen Scheußlichkeit, schaute in das zur Hälfte mit Fell bedeckte Gesicht und erkannte die Mordlust in den beiden unterschiedlichen Augen. Dann schoß ich. Auch Suko feuerte.
Er stand schräg hinter mir. Unsere Waffen krachten um die Wette.
Peitschende Schläge hallten durch den Wald und rissen die Stille buchstäblich entzwei.
Aus dieser Entfernung konnten wir nicht vorbeischießen. Das geweihte Silber hieb in den Körper der sich noch in der Luft befindlichen Bestie.
Sie wurde durchgeschüttelt, stieß Laute aus, die man nicht als menschlich bezeichnen konnte und nach dem Echo der Schüsse klagend durch den Wald hallten.
Dann prallte sie auf mich.
Nicht direkt auf meinen Oberkörper, sondern mehr auf die Beine, und sie nagelte die Füße auf dem Boden fest.
Mit einer letzten Kugel traf ich den Kopf der Mörderin. Es hätte dieses Schusses nicht mehr bedurft. Die Wertigerin war schon erledigt. Vor unseren Augen warf sie sich in einem letzten Reflex auf den Rücken, und starrte in den schmalen Lichtfinger der Lampe, während sie sich allmählich wieder verwandelte.
In einen Menschen, der, von mehreren Kugeln getroffen, leblos vor uns lag.
»Das war die Rache der goldenen Kralle«, sagte Suko, als er seine Beretta wegsteckte.
Ich stand auf.
Das Fell verfiel. Wie grauer Staub rieselte es ab. Das Blut jedoch blieb.
Es war aus den Kugelwunden gesickert, und zwei glanzlose Augen starrten gegen das Filigran der zahlreichen Baumäste.
Mit diesen Schüssen hatten wir den Fall des Wertigers endgültig abgeschlossen.
»Sollen wir sie mitnehmen?« fragte Suko.
»Ja«, sagte ich und bückte mich.
***
Die Fahrgäste schauten uns entsetzt an, als wir mit der Leiche auf dem Arm zurückkämen. Will Mallmann hatte über das Funktelefon in der Lok die Oberzugleitung und die Bahnpolizei alarmiert. Die Strecke mußte erst einmal für den Zugverkehr gesperrt werden.
Will Mallmann sah ziemlich blaß aus, als er uns anschaute. Das Blut klebte noch in seinem Gesicht, und er starrte blicklos auf die tote Frau.
»Der Fluch ist gebrochen«, erklärte ich, wobei ich die Tote neben die Gleise legte.
»Es hat weitere Tote gegeben«, sagte der Kommissar. »Zwei Schaffner gehen noch auf ihr Konto.«
Verdammt, damit hatten wir nicht gerechnet. Und fast wäre sie uns noch entwischt.
Ich schaute mir wenig später die Leichen an. Sie waren auf schreckliche Art und Weise ums Leben gekommen.
Daß es unter den Fahrgästen nicht zu einer Panik gekommen war, verdankten wir in erster Linie dem Zugführer.
Ich stand neben dem Zug und schaute hinaus in die Nacht. Ein Gefühl des Sieges wollte nicht aufkommen. Es breitete sich bei mir eine gewisse Bitterkeit aus.
Dieser Fall war erledigt, und ich fragte mich jetzt schon, was wohl als nächstes auf uns wartete…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 205 »Die goldene Kralle«
[2] Siehe John Sinclair Nr. 256 »Der Zombie aus dem Kerkerschloß«
[3] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 010 »Disco Dracula«
[4] Siehe John Sinclair Nr. 232 »Sieben Siegel der Magie«
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