0260 - Gespenster der Vergangenheit
steiler Neigung einmal den ganzen Umfang umlief, bevor er dreißig Meter weiter oben vor dem Burgtor endete.
Die Burg schien zu erwachen. Das Dröhnen der Motoren hatte die Besatzung aus dem Schlaf geweckt.
Rakal sah gelbe, tanzende Lichtpunkte, die von Fackeln herrührten. Seine Vermutung erwies sich als richtig. Man leistete keinen Widerstand. Es schienen nur Frauen auf der Burg zurückgeblieben zu sein.
Vor dem Burgtor ließ Emerich anhalten und die Motoren ausschalten. Auf französisch, das er wesentlich besser beherrschte als das Englische, schrie er eine Warnung, die den Burginsassen riet, sich vom Tor zu entfernen. Nachdem er eine angemessene Frist hatte verstreichen lassen, gab er Hannemann den Befehl zum Feuern. Aus dreißig Metern Entfernung riß das schwere Geschütz nicht nur das Tor in Stücke, sondern brachte außerdem noch einen Teil der angrenzenden Mauer zum Einsturz.
Ohne auf Widerstand zu stoßen, rollte der Panzer bis in den inneren Burghof. Nach der Anlage zu schließen, stammte die Burg aus dem späten dreizehnten Jahrhundert, war also weitaus moderner als die, die Emerich und Staunder bisher bewohnt hatten. Voller Besorgnis musterte Rakal die hochragenden Wände der Gebäude mit ihren Hunderten von Erkern und Nischen. Ein einziger Heckenschütze genügte, um den Panzer in die Luft zu sprengen, Emerich hatte ähnliche Befürchtungen. Die Motoren waren kaum zum Stillstand gekommen, da befahl er seinen Leuten, die Gebäude zu durchsuchen und keinen Winkel unbeachtet zu lassen. Mit Bedacht und jenem sechsten Sinn, den jahrelange Erfahrung im Partisanenkrieg erzeugt, gingen die Männer zu Werk.
Eine halbe Stunde später stand die Besatzung der Burg auf dem inneren Hof versammelt, und Emerich verbürgte sich dafür, daß sich im Innern der Gebäude kein einziges menschliches Wesen mehr aufhielte.
Zwei Männer, dreiundzwanzig Frauen und fünf Kinder. Im Schein des ersten Morgenlichts musterte Rakal sie mit unverhohlenem Erstaunen. In ihren Augen lag der gleiche Ausdruck von Trägheit und Ergebenheit, den er an Staunder und Emerich, aber besonders an Staunder wahrgenommen hatte. Aber noch weitaus beredter als ihre Augen verriet etwas anderes die Art des Schicksals, dem ein unbekannter, erbarmungsloser Gegner diese Menschen mit Vorbedacht ausgeliefert hatte, Rakal war sicher, daß der männliche Teil der Burgbesatzung aus mindestens fünfzig Mitgliedern bestand oder wenigstens bestanden hatte, bevor sie Emerichs Lastwagenkolonne angriffen. Vor ihm standen dreiundzwanzig Frauen, die meisten davon in jugendlichem Alter.
Trotzdem sah er nicht mehr als fünf Kinder.
Sie waren nicht auf dieser Welt geboren. Ihre Augen waren wissend. Ihre Mienen spiegelten die Erfahrungen langer Jahrhunderte. Rakal fühlte sich plötzlich niedergeschlagen und mutlos.
Die beiden Männer waren alt - weit über Sechzig nach Rakals Schätzung. Beide sahen intelligent aus.
Rakal kletterte steifbeinig vom Panzer herunter und ging auf sie zu. So laut, daß die ganze Gruppe ihn hören konnte, sagte er auf französisch: „Wir kommen nicht, um Ihnen Schaden zuzufügen oder Sie zu unterwerfen. Wir brauchen Ihre Hilfe.
Lassen Sie mich erklären, worum es geht ..."
Er sprach eine Viertelstunde lang. Die Franzosen hörten ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Mit einfachen Worten, von denen er glaubte, daß sie sie verstehen könnten, setzte er ihnen auseinander, was es mit diesem Planeten auf sich hatte, warum sie hier waren und wer diejenigen waren, denen sie ihr Schicksal verdankten. Er ging nicht darauf ein, wie er und Tronar hierhergekommen waren. Das hätten sie nicht begriffen. Er wies jedoch darauf hin, daß eine Möglichkeit zur Befreiung bestand.
„Um sie in die Wirklichkeit umzusetzen, brauchen wir jedoch Ihre Hilfe", schloß er.
Eine Minute lang wartete er bang auf ihre Reaktion. Die Last der Entscheidung schien allein auf den beiden Alten zu ruhen. Die Frauen sahen sie erwartungsvoll an, manche voller Ungeduld, als brauchten sie ihnen zu lange. Die Alten warfen einander einen kurzen, nachdenklichen Blick zu. Dann nickten sie, und einer von ihnen, ein kleiner, weißhaariger Mann mit enganliegenden Hosen und einem makellos weißen, mit Rüschen besetzten Hemd trat einen Schritt auf Rakal zu.
„Ich will nicht sagen, daß wir Ihnen vertrauen", eröffnete er. „Aber im Augenblick sehe ich keine andere Möglichkeit, als zu tun, was Sie verlangen. Außerdem besteht die Chance, daß Sie es ehrlich meinen, und uns ist
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