0263 - Wenn die Totengeister schreien
auf.
Der Druide lag zusammengekrümmt am Boden. Die Unterwelt hatte ihn ebenso hinausgeschleudert wie Nicole, aber Gryf war verletzt. Schwer verletzt. Unaufhaltsam verströmte das rote Leben aus seinem Körper.
Fassungslos stand Zamorra da, vor Schreck wie gelähmt.
»Nein«, flüsterte er. »Nein… nicht das…«
Jemand lehnte sich an ihn. Nicole!
»Hilf ihm«, flüsterte sie heiser. »Himmel, nun hilf ihm doch! Siehst du nicht, daß er stirbt?«
***
Oben in einem Zimmer von Ralbury Castle erwachte ein Mann aus tiefer Benommenheit. Er faßte sich mit den Fingerspitzen an die Schläfen.
»Was ist mit mir los?« flüsterte er. »War ich bewußtlos?«
Er sah auf die Uhr. Ihm fehlten ein paar Minuten in der Erinnerung! Er hatte am Fenster gestanden und hinausgeschaut, und dann - nichts. Jetzt saß er vor dem großen Spiegel auf der Bettkante.
Wie konnte das sein?
Er begriff es nicht. Ebensowenig wie er begriff, warum die Toten, die sonst nur nachts aktiv waren, jetzt am Tage schrien. Welche Supermächte griffen hier ein und steuerten alles mehr und mehr dem Chaos entgegen?
»Aber ich will das alles doch gar nicht«, flüsterte er. »Was ist mit mir los… was, um des Höllenfeuers willen?«
Aber niemand konnte es ihm sagen. Er war in seinem großen Zimmer allein!
***
In der anderen Wirklichkeit zwang Leonardo deMontagne sich gewaltsam zur Ruhe. Mit einem so gewaltigen magischen Ausbruch hatte er nicht rechnen können. Gryf hatte ihn überrascht. Die Illusionswelt war zusammengebrochen. Alles in Leonardos Tiefenwelt war nur Schein, erzeugt von den Kräften der Amuletts. Eigentlich hätten sich beim Zusammenbruch sowohl der Druide Gryf wie auch Nicole Duval einfach mitauflösen müssen. Aber die unheimliche Geisteskraft Gryfs hatte sie beide hinausgeschleudert.
Nun, zumindest dem Druiden nützte das nicht mehr. Er war verletzt, und diese Verletzung war nicht magisch erfolgt. Der Schwerthieb würde ihn das Leben kosten.
Rettung für ihn gab es höchstens, wenn er sofort in eine Klinik kam und operiert wurde. Aber dazu konnte es nicht kommen.
Ralbury Castle war eine Falle. Man kam zwar noch hinein, aber nicht wieder hinaus, solange die Toten schrien. Thomas und Nicole hatten es ja ebenso versucht wie Pete und Carmen. Es war ihnen nicht gelungen!
Und so würde auch kein Notarztwagen und auch kein Rettungshubschrauber Ralbury Castle wieder verlassen können. Demnach war Gryf verloren.
Wenigstens ein Teilerfolg, dachte Leonardo grimmig. Das würde das Zamorra-Team gewaltig niederschmettern.
Zwischenzeitlich hatte Leonardo Gelegenheit, seine Welt jenseifs der Wirklichkeit zu erneuern. Nach wie vor ging es ihm darum, Zamorra auszuschalten. Er brauchte ihn nicht einmal anzulocken.
Der Professor würde allein kommen, um sich für Gryfs Tod zu rächen…
Leonardo deMontagne erwartete ihn.
***
»Er muß ins Krankenhaus nach Perth«, sagte Pickford. »Ich rufe einen Hubschrauber.«
»Warten Sie«, sagte Nicole.
Zamorra und Pickford sahen sie überrascht an. »Bitte?«
»Es hat keinen Sinn«, sagte sie. »Niemand kommt hinaus. Die schwarzen Mächte verhindern es. Der Hubschrauber wird hier ebenfalls gefangen sein. Wollen Sie das?«
Hilflos zuckte Pickford mit den Schultern. »Aber wir können ihn doch nicht verbluten lassen…«
Zamorra nickte. »Du hast Recht, Nici, so furchtbar es ist. Wir dürfen keine weiteren Unschuldigen mit in diese Sache hineinziehen. Holen Sie Verbandszeug, Mister Pickford. Ich will sehen, was ich tun kann.«
Er versorgte Gryf, so gut es eben ging. Die Blutung ließ nach, aber sie hörte nicht auf. Es war abzusehen, wann der Druide soweit geschwächt war, daß er starb. Das Bewußtsein würde er ohnehin nicht wiedererlangen. Zamorra berührte seine Schläfen mit den Fingerspitzen. Seine Lippen bewegten sich leicht, die Augen waren geschlossen. Nicole fühlte den Kraftstrom, der auf Gryf überfloß.
Nach einer Weile erhob sich Zamorra.
»Holen Sie Kissen und Decken«, sagte er. »Wir können ihn nicht ins Haus tragen, weil das die Wunde nur noch weiter aufreißt, aber wir müssen ihn vor Unterkühlung schützen. Sonst stirbt er uns trotz allem.«
»Aber…« wandte der Butler ein.
»Ich habe ein wenig gezaubert«, sagte Zamorra. »Ich habe seine Lebensfunktion fast völlig stillgelegt. Er lebt jetzt im Zeitlupentempo, aber er stirbt auch in Zeitlupe, wenn ich es einmal so ausdrücken darf. Er merkt nichts davon. Wir haben ein wenig Zeit gewonnen, aber nicht viel.«
»Was
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