0265 - Das Zeitauge
Herzschlag lang gezögert hatte, weil die Fremden vor ihm immerhin die Ahnen seiner direkten Vorfahren verkörperten - sein erster Schuß war zugleich sein letzter.
Er sah noch, wie der Abwehrschirm eines seiner Gegner zusammenbrach und der Lemurer in einer Glutwolke verschwand. Danach wurde sein eigener Individualschirm in lohendes Atomfeuer gehüllt.
Das schützende Feld bewahrte ihn zwar vor der Vernichtung, aber es erhitzte sich so stark, daß Shelton, der mit offener Helmkapuze geflogen war, einen betäubenden Schock erlitt. Antriebs- und steuerlos trieb seine Sphäre davon, überschlug sich langsam und blieb zwischen den Wipfeln junger Tannen stecken.
Pierre Messier und Aino Uwanok erging es nicht besser.
Als John C. Shelton wieder zu sich kam und die Augen einen Spalt weit öffnete, sah er den ewig dunstigen Glast des Taghimmels über sich. Vor ihm hockte die schlanke Gestalt eines lemurischen Soldaten. Unter ihm sang unverkennbar der Generator eines Antigravgleiters.
Während der Oberst die Ereignisse zurückrief, die zu seiner Gefangennahme geführt hatten, kehrte der Schmerz zurück. Das Gesicht brannte, als hielte es jemand über eine offene Flamme. Aber er vermochte klar zu denken und seine Glieder zu bewegen - soweit es die Fesselung zuließ. Folglich konnten seine Verletzungen nicht allzu schwer sein.
Er fragte sich, wo der Roboter Log in den kritischen Sekunden gesteckt haben mochte. Der Psi-Roboter hätte mit Erfolg eingreifen können, und Shelton verstand nicht, warum er es unterlassen hatte.
Derlei trübe Gedanken beschäftigten ihn jedoch nicht lange. Nicht ohne tieferen Grund nannte man ihn den „Eisberg". Auch in dieser Situation brachte er es fertig, seine Gedanken sehr schnell auf das einzig Wesentliche zu konzentrieren: Wie er sich und seine Gefährten befreien und den Auftrag des Großadministrators doch noch ausführen konnte. Im Augenblick sah er allerdings keine Möglichkeit dazu. Er war gefesselt, und zweifellos hatten die Lemurer ihm sämtliche Waffen und Geräte, einschließlich seines Kampfanzuges, weggenommen. Zudem besaßen diese braunhäutigen Menschen der letzten Eiszeit alle die geistigen und körperlichen Vorzüge, wie sie die Bürger des Solaren Imperiums so gravierend von anderen Rassen abhoben: in erster Linie Scharfsinn, List, eine starke Willensenergie - und einen nicht zu brechenden Kampfeswillen. Eine Minute lang verschwendete Shelton seine Gedanken an die Spekulation darüber, ob es nicht möglich sein sollte mit diesen Menschen ein Bündnis gegen die MdI einzugehen. Er kam rasch wieder davon ab, das, was er erlebte, lag für ihn und das Solare Imperium mehr als 52000 Jahre zurück. Er glaubte nicht daran, jemand könnte über einen so ungeheuren Zeitraum hinweg die Vergangenheit wesentlich beeinflussen.
Als der Gleiter mit sanftem Ruck anhielt, waren Sheltons Sinne hellwach. Er bemühte sich, alles zu hören und zu sehen, was für Augen und Ohren irgendwie zugänglich war.
Rauhe Stimmen ertönten und bellten Befehle in Tefroda, der Ursprache der Menschheit. Sie besagten allerdings nur, man solle die Gefangenen zum Verhör bringen.
Der Oberst fühlte sich unsanft hochgerissen. Jemand schlug ihm die flache Hand mehrmals ins Gesicht. Wütend schaute er sein Gegenüber an. Doch der Soldat lachte nur gutmütig.
„Ausgeschlafen, eh?"
Die Frage wurde ebenfalls in Tefroda vorgebracht. Shelton entschied sich dafür, seine Sprachkenntnisse nicht zu verheimlichen. Das hätte keinen Vorteil gebracht. So nickte er stumm.
Der Soldat löste seine Fußfesseln. Unwillkürlich spannte der erfahrene Offizier die Muskeln an. Falls niemand zusah...!
Es sah jemand zu!
Aus den Augenwinkeln heraus erkannte er zwei Lemurer hinter sich stehend, mit den Waffen im Anschlag. Diese Leute waren zu schlau, um auf die plumpe Tour überlistet zu werden.
Von rechts wurden Messier und Uwanok herbeigeführt. Messiers Gesicht war gerötet, dort, wo sich einmal die Augenbrauen befunden hatten, sah man nur noch schwarze Striche. Das Haupthaar war ebenfalls versengt, und an der Kinnlade trat das rohe Fleisch hervor. Der Eskimo sah noch etwas schlimmer zugerichtet aus. Im Gegensatz zu dem Marsianer jedoch zeigte er nichts was auf den Schmerz hinwies. Im Gegenteil: Aino grinste ironisch.
Oberst Shelton wandte sich um, als er einen heftigen Stoß in den Rücken erhielt.
„Vorwärts, marsch!" knurrte einer der Bewacher.
Er tat einen Schritt in Richtung des würfelförmigen Gebäudes, vor dem
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