027 - Ruf des Blutes
äh… Rhiffalo.«
Er konnte Jonpols Grinsen geradezu spüren.
»Was ist?«, rief er dem Truveer zu. »Ich dachte, du hättest das Biest beruhigt?«
»Wofür hältst du mich? Für einen Zauberer?«, gab der Spielmann zurück.
»Ja!«
»Tut mir Leid, aber ich bin nur ein schlichter Truveer, der sich ein bisschen auskennt mit Masique.«
»Masique?«, fragte Matt. »Was ist das nun wieder?« Jonpol hob die Panflöte und deutete auf die Gepäcktaschen hinter sich, in denen er vermutlich weitere Instrumente verstaut hatte. »Die Kunst meiner Gilde.«
»Deiner Gilde? Es gibt noch mehr von deiner Sorte?«
»Von meiner Sorte - ja.« Sombriffe lachte. »Aber keinen Zweiten wie mich!«
»Das glaub ich dir aufs Wort«, sagte Matt und unternahm den nächsten Versuch, in den Sattel hinaufzusteigen. Was schon dann schwierig gewesen wäre, hätte sich das Tier kooperationsbereit gezeigt - was es allerdings nicht tat. Stattdessen schüttelte es sich unwillig, und ehe Matt sich versah, lag er rücklings auf dem Boden.
»Du hast kein Händchen im Umgang mit Tieren, wie?« Jonpol war näher gekommen.
Matt verkniff sich die Bemerkung, dass er dafür aber einen Kampfjet mit verbundenen Augen fliegen konnte und dass ein solcher Stahlvogel sich einen Dreck um Truveere und Masique scheren würde. Schweigend rappelte er sich in die Höhe und rieb sich den verlängerten Rücken; der Boden war in der Tat hart wie Fels…
Jonpol lehnte sich im Sattel zur Seite, streckte den Arm nach dem Rhiffalo aus und kraulte ihn hinterm Ohr. »Aufsitzen«, sagte er ganz ruhig, ohne sich nach Matt umzudrehen.
Der tat wie ihm geheißen, und tatsächlich ließ das Tier nun zu, dass er in den überraschend bequemen Sattel stieg.
Jonpol drückte seinem Tier die Schenkel in die Flanken. Der Aneetah trabte an, und der Rhiffalo folgte ihm.
Sie ritten südwärts. Folgten dem Verlauf früherer Straßen, deren Asphalt- und Betondecken unter der Frosteinwirkung aufgebrochen waren und die jetzt grauen grindigen Narben gleich über Mutter Erdes kalten Leib verliefen.
Sie passierten Städte, die unter der tonnenschweren Last von Eis und Schnee in Jahrhunderten zu Ruinen geworden waren, zu Totenstädten einer untergegangenen Zivilisation.
Und unterwegs besang Jonpol Sombriffe, was er die
»Legenden und Historien der Nosfera« nannte.
***
2508
Jenseits der schroffen Felsketten dämmerte ein neuer Tag herauf, als die Kinder endlich aus ihren Käfigen gelassen und aus dem Tragg getrieben wurden. Die Bergzüge wirkten im Gegenlicht tiefschwarz und substanzlos, wie Löcher, die ins Firmament gebrannt worden waren. Und das vage Licht des Morgens schmerzte nach dem langen Halbdunkel im Gefährt in den Augen.
Dennoch sahen die Kinder, wo sie angelangt waren: Ein weitläufiges Karree hinter hohen Mauern, umrahmt von staubiger Wüste und Geröllfeldern. Eine holprige Straße führte schnurgerade auf ein mächtiges Tor in dem Mauerviereck zu, an dessen Ecken Türme aufragten. In entgegengesetzter Richtung verlief sich die Straße scheinbar im staubgrauen Nichts, zu dem Himmel, Berge und Boden in der Ferne verschmolzen.
Der nackte Hüne blieb bei den fünf Kindern, während der Fette vortrat und ein Zeichen in Richtung eines der Türme machte. Eine Weile lang geschah nichts, dann endlich öffnete sich rumpelnd, knirschend und quietschend das metallene Tor in der Mauer. Durch die Öffnung waren im Inneren des umgrenzten Areals weitere Bauten auszumachen, schmucklos mit schwarzen Fensterhöhlungen.
Vier Gestalten in dunklen bodenlangen Kutten, die Gesichter im Schatten weiter Kapuzen verborgen, zogen einen flachen Karren heran, der unter anderem beladen war mit Behältern wie jenen, in denen der Sammler das Fjuul für sein Fahrzeug lagerte.
Dem Karren folgten weitere Gestalten, in gleicher Weise gekleidet, drei an der Zahl.
Rhian fror erbärmlich. Nicht nur, weil der erwachende Morgen die Schatten und Kälte der Nacht noch lange nicht vertrieben hatte… Der Anblick der unheimlichen Prozession und dieses Ortes selbst erfüllten sie mit einem Grauen, das weder Namen noch Grund hatte. Trotzdem wusste Rhian, dass es berechtigt war! Etwas ging von diesen Gestalten und dem Ort aus, etwas wie ein stinkender und eiskalter Odem, den die Kinder zwangsläufig einsogen und mit dem sie die schiere Angst einatmeten.
Die fünf Kinder drängten sich aneinander, verängstigten Tieren gleich, die in gegenseitiger Nähe Schutz und Trost suchten. Aber sie waren keine Tiere, sie
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