027 - Ruf des Blutes
nicht völlig eingerostet waren (und er auf seinem bisherigen Marsch nicht allzu weit vom Weg abgekommen war), dann lag Philadelphia in etwa zwischen New York und Washington.
»Warum nicht?«, meinte er schließlich. »Reist du aus einem bestimmten Grund nach Phila… ich meine Phillia?«
Jonpol Sombriffe nickte. Sein Blick ging an Matt vorbei und blieb auf dem Toten ruhen.
»Seine Mörder versammeln sich dort.« Er sagte es ganz nüchtern, ohne Hass oder sonstige Regung im Ton.
»Seine Mörder?«, wiederholte Matt. »Du meinst -?« Der Barde nickte abermals. »Ja. Nosfera. Sie folgen dem Ruf des Blutes.«
Matts Vermutung, dass der Truveer den Toten gekannt hatte und ihn deshalb rächen wollte, erwies sich als falsch. Jonpol Sombriffes Interesse an den Nosfera war anderer Natur.
»Sie folgen dem Ruf des Blutes? Was meinst du damit?«, fragte Matt.
»Davon erzähle ich dir unterwegs«, antwortete der Barde. »Lass uns aufbrechen und den Rest des Tages nutzen. Unser Nachtlager schlagen wir nach Sonnenuntergang auf.«
Matt nickte. Zwar war die Sonne jenseits des Eisnebels kaum auszumachen, aber immerhin, noch stand sie am Himmel und tauchte die Welt in fahles Licht. Und lagern würde er ohnedies lieber anderswo - nicht direkt neben einem Toten, den sie nicht beerdigen konnten. Davon abgesehen, dass es ihnen am nötigen Werkzeug fehlte, wäre es ihnen sowieso nicht gelungen, ein Grab auszuheben. Der Boden war hier - und in weitem Umkreis - beinahe felsenhart vor Frost. Man hätte wohl Dynamit gebraucht, um ihn auch nur anzukratzen.
»Kann uns dein Aneetah denn beide tragen?« Matt deutete auf den monströsen Ameisenbären, der mit seiner rüsselartigen Nase hinter der Rinde eines toten Baumes nach Insekten suchte.
Sombriffe sah seinen neuen Weggefährten verwundert an.
»Das muss sie nicht. Du kannst den Rhiffalo des Toten nehmen.«
»Ach…?«, machte Matt wenig begeistert und äugte hinüber zu dem gehörnten Ungetüm, das offenbar auch vom Hunger geplagt wurde und den Boden mit gesenkten Schädel nach Fressbarem absuchte.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor dem Tierchen?«, stichelte Jonpol amüsiert.
Matt sagte nichts. Unbehagen (das Wort gefiel ihm deutlich besser als Angst) war nicht der einzige Grund, aus dem er sich scheute, das Reittier des Toten zu übernehmen. Schwerwiegender war, dass es ihm vorkam wie Leichenfledderei.
Jonpol schien ihm seine Bedenken von der Stirn abzulesen. »Sieh es von der Seite: Wenn das Tier hier bleibt, wird es über kurz oder lang verhungern. Nehmen wir es mit, überlebt es.«
»Wer sagt denn, dass es überhaupt mitkommen will?«, wandte Matt ein.
»Ich«, erwiderte der Troubadour, wandte sich in Richtung des Rhiffalos und ging langsam darauf zu. Dabei sprach er so leise vor sich hin, dass Matt ihn nicht verstand. Aber das Tier bewegte aufmerksam die Ohren und ließ zu, dass Jonpol ihm die Hand auf den muskulösen Hals legte.
Wie er dastand und leise, aber stetig auf das massige Geschöpf einsprach, erinnerte er Matt an jene Männer, denen man zu seiner Zeit geradezu magische Kräfte im Umgang mit Pferden nachgesagt hatte - die Pferdeflüsterer.
Dann setzte der Truveer seine Flöte an die Lippen und spielte. Die Tonfolge erinnerte Matt ein wenig an New-Age-Musik, die er seinerzeit als relativ langweilig empfunden hatte.
Jetzt allerdings, da er ein Jahr lang praktisch ohne Musik gelebt hatte, fand er Gefallen daran; sie beruhigte ihn auf ganz eigenartige Weise. So in etwa, dachte er, musste man sich nach einer erfolgreichen Meditation fühlen.
Die Ruhe, die in ihm aufstieg, war von solcher Tiefe, dass er nicht einmal merkte, wie Jonpol Sombriffe den letzten Ton verwehen ließ. Er wurde des Barden erst gewahr, als der schon auf seinem Aneetah saß und das Tier dazu brachte, Matt mit der Nase anzustupsen.
Die Bewegung war sanft, trotzdem überraschte sie Matt so sehr, dass er ums Haar das Gleichgewicht verloren hätte.
»Worauf wartest du?«, fragte Jonpol vom Rücken des Tieres herab.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Matt -und meinte es nicht nur als Floskel, sondern empfand es aus tiefem Herzen: Ruhe. Keine Hektik, kein Stress…
Lächelnd und leise den Kopf schüttelnd ging er auf den Rhiffalo zu. Dieser Bursche hatte was, ohne Zweifel, etwas ganz Besonderes sogar…
Als Matt behutsam Anstalten machte, auf den Rücken des Tieres zu klettern, wandte es den gehörnten Schädel und ließ ein unwilliges Schnauben hören.
»Hooo!«, machte Matt. »Sei ein braver…
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