027 - Ruf des Blutes
gehen?«, fragte Matt. »Warum tust du das?«
»Es ist meine Aufgabe - meine Bestimmung«, antwortete der Truveer. »Ich werde ein Lied erschaffen über die Geburt einer Nation - und vielleicht auch über ihren Untergang. Ein Epos, das seinesgleichen sucht!«
Matt nickte nachdenklich. Die europäischen Moritatensänger im Mittelalter hatten im Grunde nichts anderes getan. Bevor es Zeitungen und sonstige Medien gegeben hatten, waren sie es gewesen, die neueste Nachrichten von Ort zu Ort getragen und verkündet hatten - auch wenn diese Nachrichten dann längst schon Schnee von gestern gewesen waren.
»Und dafür setzt du dein Leben aufs Spiel?« Sombriffe lachte auf, aber es klang nicht so amüsiert und leichthin, wie er es wohl beabsichtigt hatte. »Irgendwann wird es mich mein Leben sogar kosten, damit muss ich rechnen. Ich hoffe nur, dass dann ein anderer unserer Gilde zugegen sein wird, um von meinem heldenhaften Tod zu singen.«
»Ich hoffe nur, dass es dazu nicht kommen wird, solange wir zwei zusammen sind«, meinte Matt.
»Das liegt wohl ganz bei dir«, grinste der Truveer. »Das Kämpfen ist nicht meine Stärke, weißt du?«
»Das heißt, ich soll für dich den Leib-Wächter spielen? Du bist ein durchtriebener Hund.«
»Wohl wahr. Was glaubst du, warum es mich bis jetzt nicht erwischt hat?« Jonpol kniff ein Auge zu.
»Und was ist mit meinen… Vorgängern passiert?«
»Ich habe ihnen zur Unsterblichkeit verholfen - in meinen Liedern.«
Und diesmal wartete Matt vergeblich auf eine Geste, dass Jonpol seine Bemerkung nicht ganz ernst gemeint hatte…
»Gute Nacht, Maddrax. Schlafe gut und schöne Träume«, sagte der Truveer schließlich, doch seine Wünsche gingen nicht in Erfüllung.
Matt Drax schlief weder gut noch träumte er schön. Stattdessen plagten ihn Träume von Hunderten Nosfera, die ein Blutbad im wahrsten Sinne des Wortes anrichteten.
Und sich selbst sah Matt in blutroten Fluten jämmerlich ersaufen…
Noch zwei Tage lang ritten sie durch Nebel aus Eiskristallen, wurden gelegentlich heimgesucht von Schneeschauern, und die Kälte biss sich wie mit Zähnen tief in ihrer beider Fleisch.
Am dritten Tag schlug das Wetter um - ohne wirklich besser zu werden.
Es begann zu regnen.
Binnen kürzester Zeit waren Matt Drax und Jonpol Sombriffe durchnässt. Die Kleidung klebte ihnen am Körper wie eine zweite Haut und gefror in der immer noch eisigen Kälte. Dass sie sich keine Lungenentzündung einfingen, schrieb Matt schließlich vor allem dem teeähnlichen Gebräu zu, das der Truveer mehrmals täglich zubereitete.
Die Gegend blieb trostlos und öde. Die einstmals dicht bevölkerte Ostküste der Vereinigten Staaten war regelrecht verwaist. Matt und Jonpol passierten nur vereinzelte Ansiedlungen, die sich allenfalls mit sehr viel gutem Willen als kleine Städte oder auch nur Dörfer bezeichnen ließen.
Einmal hatten sie das Glück, einen solchen Ort am Abend zu erreichen, gerade rechtzeitig zur nächtlichen Rast. In dem Dörflein fand sich sogar etwas wie eine Gastwirtschaft, wo man ihnen erlaubte, im Stall nebenan zu nächtigen, und Jonpol dankte es den gastfreundlichen Leuten mit ein paar Moritaten und Liedern.
Kurzweilig war die Reise trotz allem. Sombriffe war ein Mann jener Sorte, deren Mundwerk man nach ihrem Ableben wohl extra würde totschlagen müssen. Er erzählte und redete unentwegt.
Aber Matt wurde nicht müde, ihm zuzuhören.
Denn der Truveer war weit herumgekommen und hatte viel erlebt. Und so entstand vor Matts geistigem Auge, wie ein Puzzle, ein Bild dieses neuen Amerikas. Natürlich klafften noch Lücken in diesem Bild und es mochte auch nicht alles hundertprozentig den tatsächlichen Begebenheiten entsprechen, was Jonpol da schilderte. Aber immerhin, er vermittelte Matt eine Ahnung dessen, was ihn möglicherweise erwartete, wenn er seinen Weg fortsetzte.
Und schließlich stellte der Barde die Frage, auf die Matt schon lange gewartet hatte.
»Und du? Wo kommst du her, Maddrax? Du stammst nicht aus Meeraka, das rieche ich.«
Ein knappes Grinsen hob Matts Mundwinkel. »Dann stimmt was mit deiner Nase nicht. Ob du es glaubst oder nicht - ich stamme aus diesem Land.«
»Dafür weißt du aber schlecht Bescheid über die Dinge.«
»Es ist lange her, seit ich zuletzt hier war.«
»So?« Jonpol lachte auf. »Deinem dürftigen Wissen nach müsstest du hundert Jahre lang fort gewesen sein - mindestens! Ha!«
»Fünfhundert.«
»Wie -?«
»Es ist fünfhundert Jahre her,
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