027 - Ruf des Blutes
Rhian in ihre Zelle zurückgebracht hatten.
Sie, die in Kutten gewandeten Gestalten, deren Zahl nicht zu schätzen war, weil das Mädchen sie nicht voneinander unterscheiden konnte; in den Kapuzenmänteln sahen sie alle gleich aus. Mittlerweile hatte Rhian freilich den einen oder anderen Blick in ihre Gesichter erhascht, aber auch die ähnelten sich so stark, dass eines wie das andere schien: Vertrocknete Haut wie aus Leder, aschgrau oder schmutzig gelb wie Kerzenwachs, die Augen dunkel und tief in den Höhlen und der Atem aus ihren Mäulern nach Fäulnis stinkend.
Nur drei ihrer »Wärter«, wenn man sie so nennen wollte, kannte Rhian. Die drei, die sie und die anderen Kinder draußen vor dem Tor dieses N VADA STAT PRISON in Empfang genommen hatten.
Die Frau hieß Tyress, und sie unterschied sich von den anderen ihrer Art durch ihre maskenhafte Schönheit. Maskenhaft, das war genau das richtige Wort. Tyress trug ihr makelloses Gesicht zur Schau wie ein Maske, die blasse Haut glatt wie Glas, aber auch so starr. Und manchmal fragte sich Rhian, ob Tyress Gesicht tatsächlich nichts anderes war als nur eine Maske, hinter dem sich ihr richtiges Gesicht verbarg, das so hasslieh, so ledern und dörr sein musste wie das ihrer Artgenossen.
Der Name des hoch gewachsenen Mannes war Vaitor. Er schien mit Tyress verbunden zu sein, ganz so wie Vater und Mutter es gewesen waren.
Rhian spürte ein schmerzhaftes Drücken im Hals. Der Gedanke an ihre Eltern tat immer noch entsetzlich weh…
Und dann war da noch der Dritte, der kleinere Mann, kleinwüchsig fast schon, den sie Kharnov hießen. Der Schlimmste von allen, der Foltermeister, der Hexer. Und nicht nur deswegen die widerlichste Gestalt, die Rhian je gesehen hatte - nicht einmal ihre Albträume wurden von übleren Kreaturen bevölkert…
Heute war es wieder so weit.
Heute holten sie Rhian wieder aus ihrer Zelle, zwei der namen- und gesichtslosen Gestalten, um sie hinab in Kharnovs Reich zu bringen, an jenen Ort, für den Rhian einen ganz eigenen Namen gefunden hatte. Sie nannte ihn Hölle, weil dort der Teufel die Herrschaft führte und die verdammten Seelen quälte…
Kharnovs Reich, die Hölle, lag unter der Erde. Ein gewaltiger Raum ohne Fenster, dessen Decke nicht zu sehen war. Ein Labyrinth aus Apparaturen, Glasbehältern, Schläuchen und mehr. Tinkturen und Gebräue kochten über kleinen Feuern, blubberten gespenstisch, und über allem lagen tausend Gerüche, manche unsichtbar, andere wie Nebel.
Der schlimmste Geruch indes ging von Kharnov selbst aus. Er roch, als sei er schon gestorben und der Verwesung anheim gefallen. Und sah man ihn an, verstärkte sich dieser Verdacht nur noch: Seine Haut war grau und fleckig, runzlig wie die eines faulen Apfels. Grinste er, bleckte er dunkle Zähne in gleichfarbenem Fleisch. Sein rechtes Auge glich einer runden Frucht, viel zu groß für die Höhle, überspannt von einem narbigen Lid, das linke gleichfalls hervorgequollen, rund und in unablässiger Bewegung. In seiner Kutte kroch und krabbelte winziges Getier, sodass es aussah, als führe der derbe löchrige Stoff ein unheimliches Eigenleben.
Als Rhian hereingeführt wurde, rieb er sich die knöchern wirkenden Hände, flocht die spinnenbeinigen Finger ineinander und bedeutete den beiden Kuttenträgern, das Mädchen zum Stuhl zu bringen.
Der Stuhl, aus massivem, vor Alter steinhartem Holz gezimmert, stand im hinteren Teil des Raumes, etwas erhöht, fast wie ein Thron. Nur war es kein erhabenes Gefühl, darauf zu sitzen. Ganz im Gegenteil…
Rhian nahm Platz, ohne sich zu wehren. Das hatte sie längst aufgegeben. Gehorsam legte sie beide Arme auf die Lehnen und ließ zu, dass man ihr die ledernen Bänder umlegte, die sie an den Stuhl banden.
Kharnov kam und Rhian atmete so flach wie nur möglich.
Der hässliche Zwerg schlang faserige Schnüre um ihre Oberarme und zurrte sie zu. An Rhians nackten Unterarmen traten die Adern wie blaue erhabene Linien zwischen Narben, Wunden und dunklem Schorf hervor.
Sie wandte den Blick ab und starrte stur geradeaus. Sie wusste auch so, was Kharnov tat. Es war immer dasselbe…
Etwas entfernt standen Vaitor und Tyress. Sein Arm lag um ihre Schultern. Aufmerksam beobachteten sie Kharnovs Tun, obwohl sie es schon tausend Mal und öfter gesehen haben mussten. Aber sie sahen ihm nicht zu, um ihn zu überwachen, sondern weil es sie… erregte. Rhian hatte es immer in ihren Gesichtern erkennen können, und diesmal war es nicht
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