028 - Ghouls in Soho
einer Erdkabelfabrik. Riesige Kabeltrommeln standen in Reih und Glied auf dem Asphalt. Dazwischen mußte sich irgendwo mein
»Freund« versteckt haben.
Ich konnte ihn nicht sehen, sprang von der Mauer, griff sicherheitshalber nach meinem Colt Diamondback und lief auf gut Glück in eine Richtung. Es konnte die falsche sein, aber für eine mußte ich mich entscheiden.
Gespannt suchte ich den verhinderten Killer mit den verblüffenden Überlebensqualitäten. Jeden anderen hätte man ins Krankenhaus abtransportieren müssen. Ihn nicht. Er hatte den Aufprall ohne Schramme überstanden und konnte laufen wie ein Wiesel.
Geduckt lief ich von Kabeltrommel zu Kabeltrommel. Immer wieder blieb ich kurz stehen, um zu lauschen, doch der Kerl verriet sich mit keinem Geräusch. Er hatte sich für ein Versteck entschieden, und dabei blieb er.
Wenn er seine Position gewechselt hätte, hätten ihn seine Schritte vielleicht verraten…
Ich eilte weiter, versuchte keine Versteckmöglichkeit zu übersehen, denn so ein Fehler hätte mir leicht zum Verhängnis werden können.
Einmal hatte ich es nicht mit der schwarzen Macht zu tun, da übernahmen es sofort andere, mir das Lebenslicht ausblasen zu wollen. Steckte Londons Unterwelt dahinter?
Womit hatte ich mir ihren Unmut zugezogen?
Ich schlüpfte zwischen zwei Kabeltrommeln durch und vernahm im nächsten Moment ein feindseliges Fauchen. Es hörte sich nicht so an, als würde es von einem Menschen ausgestoßen.
Und es kam von oben.
Der Kerl war auf eine Trommel geklettert. Ich sah ihn, und mir war, als hätte mich jemand mit Eiswasser übergossen, denn der Bursche hatte sich in einen schleimigen Ghoul verwandelt.
***
Wie vor den Kopf geschlagen starrte George Noris in den Sarg, in dem die grauenvoll zugerichtete Leiche seines Freundes John Madden lag. Nicht nur er sah den Toten, auch andere Trauergäste sahen ihn, und nicht nur Amanda Madden fiel daraufhin in Ohnmacht.
Die schwarz gekleidete Witwe hing an seinem Arm.
Der Sargträger, der den Deckel hochgeklappt hatte, damit Amanda Madden ihren toten Mann noch einmal sehen konnte, sprang bestürzt zurück und ließ den Deckel auf die Totenkiste fallen.
»Helfen Sie mir!« verlangte Noris von einem der Trauergäste.
Der Mann trat zögernd zu ihm. »Wer hat das getan? Wer hat John Madden so zugerichtet?«
»Ein Wahnsinniger. Das muß ein Irrer getan haben«, stöhnte Noris.
Sie hoben Amanda Madden hoch und legten sie auf eine Bank.
Die meisten Menschen verließen entsetzt die Aufbahrungshalle. Die Sargträger zogen sich zurück und redeten leise und aufgeregt miteinander.
George Noris konnte nicht hören, was sie sagten. Nur ein Wort verstand er: »Ghoul!«
»Versuchen Sie Amanda zu sich zu bringen«, forderte Noris den Mann auf, der ihm geholfen hatte, trat zu den Sargträgern. Sie verstummten sofort, als sie ihn bemerkten. Nervös und ängstlich mieden sie seinen Blick.
»John Madden war mein bester Freund«, sagte er hart. »Haben Sie einen Verdacht, wer seine Leiche so zugerichtet hat?«
Die Männer schwiegen.
»Einer von Ihnen nannte vorhin ein Wort, das mir fremd ist: Ghoul. Was ist das?« wollte George Noris wissen.
»Wir wollen nicht mit Ihnen darüber sprechen«, antwortete nun doch einer der Sargträger.
»Warum nicht?«
»Es ist gefährlich.«
»Was ist ein Ghoul?«
Der Sargträger seufzte und blickte seine Kollegen an. Sie nickten.
»Na schön«, sagte er. »Wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Ghouls sind Leichenfresser.«
»Und es gibt sie auf diesem Friedhof?«
»Bisher war unser Gottesacker von ihnen verschont, aber…«
»Sind das Tiere? Wieso habe ich noch nie davon gehört?«
»Nein, Sir, es sind keine Tiere. Manche Menschen denken, es würde sie nur in Horror-Romanen geben. Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß es solche Bestien wirklich gibt, doch sie existieren. Es sind widerliche Dämonen. Ich habe schon mal einen gesehen, und ich hatte großes Glück, ihm zu entkommen. Es war drü- ben auf dem Brompton Cemetery. Dieser Unhold jagte mich durch den ganzen riesigen Friedhof, und um ein Haar hätte er mich erwischt.«
Dämonen – Höllenwesen…
George Noris wußte nicht, was er davon halten sollte. Der Ernst der Situation ließ keinen Scherz zu. Aber konnte das, was der Sargträger behauptete, wahr sein?
Kann ein vernünftiger Mensch an Dämonen glauben?
»Wie sehen diese Ungeheuer denn aus?« fragte er gepreßt.
»Sie sind zumeist gedrungen, haben eine ekelig schleimige
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