028 - Ghouls in Soho
er war.
Sein Auto war das Letzte. Es wurde nur noch vom Dreck zusammengehalten. Rostflecken ringsherum, teilweise verdeckt durch grellbunte Aufkleber. Die vordere Stoßstange war geknickt, die Reifen eierten, die Motorhaube schloß schief, und die Scheibenwischer zitterten wie die Zweige eines dürren Busches.
Der Typ mußte die Karre zu dieser allerletzten Fahrt aus der Schrottpresse geklaut haben. Mir schoß unwillkürlich durch den Kopf, daß der Kerl mit seiner Raserei einen ganz bestimmten Zweck verfolgte.
Wie ein Kamikaze kam er auf mich zu.
Wollte er sich auf diese spektakuläre Weise das Leben nehmen?
Tausend Gedanken wirbelten mir durch den Kopf. Mir war, als würde sich alles mit Lichtgeschwindigkeit abspielen. Dennoch lief aber für mich alles wie in Zeitlupe ab. Es war kurios.
Ich bekam jede Einzelheit mit, nichts entging mir. Ich sah das klapperige Fahrzeug auf mich zurasen und sah das Gesicht des Mannes hinter der verschmierten Frontscheibe.
Und mit einemmal hatte ich den Verdacht, daß der Kerl nicht sich, sondern mich umbringen wollte.
Kein Selbstmörder grinst so unverschämt, wie er es tat!
***
Gordon Pinsent zog sich nach der Auseinandersetzung mit Angie Lampert in seine Wohnung zurück und rieb sich zufrieden die Hände. Der Rothaarigen hatte er es tüchtig gegeben, das würde sie sich merken.
Mit stolzgeschwellter Brust stellte er sich vor den Spiegel im Wohnzimmer; oder besser: Er baute sich davor auf. Er war ein Narzißt, liebte sich selbst und sonst niemand.
»Großartig warst du«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Er lachte selbstgefällig. »Sie haben alle Angst vor dir. Im ganzen Haus fürchten sie dich und gehen dir tunlichst aus dem Weg. Sie können dir geistig allesamt nicht das Wasser reichen. Du bist ihnen überlegen. Das ärgert sie zwar, aber sie können es nicht ändern.«
Zustimmend nickte er seinem Spiegelbild zu und setzte sich. Er nahm die Zeitung in die Hand, die er weggelegt hatte, als Angie Lampert nach Hause kam, überflog noch einmal den Artikel, den er schon einmal gelesen hatte und mit dem er nicht einverstanden war, holte Papier und Bleistift und setzte einen geharnischten Leserbrief auf.
Es machte ihm große Freude, mit der ganzen Welt auf Kriegsfuß zu stehen. Es bereitete ihm Vergnügen, wenn die Leute böse auf ihn waren und seine Nähe mieden.
Nebenan rumorte es. Unwillig zog Gordon Pinsent die Brauen zusammen und hob den Kopf.
Was tut sie? Hat sie den Verstand verloren? Läßt sie ihre Wut nun an den Möbeln aus? fragte er sich. Schlägt sie alles kurz und klein? Demoliert sie die Einrichtung, weil sie den Mut nicht aufbrachte, mich ins Gesicht zu schlagen? Reagiert sie sich auf diese Weise ab?
Er lächelte.
Arme Irre…
Als der Lärm in der Nachbarwohnung immer lauter und störender wurde, legte Pinsent den Bleistift auf den Tisch und erhob sich.
»Die ist ja nicht mehr bei Trost!« sagte er scharf.
Da drangen plötzlich Schreie durch die Wand. Gordon Pinsent erstarrte für einen Augenblick. Das Mädchen schrie um Hilfe. Grell, verzweifelt. Jemand mußte sie in ihrer Wohnung attackieren!
Man konnte über Gordon Pinsent denken, wie man wollte – er war streitsüchtig, selbstherrlich und unleidlich – aber wenn ein Mensch in Gefahr schwebte, streifte er all diese schlechten Eigenschaften ab wie die Schlange ihre alte Haut.
Wenn jemand Hilfe brauchte, sah Pinsent nicht weg. Er engagierte sich. Vielleicht mit dem Hintergedanken, daß, wenn er einmal Hilfe brauchte, sich auch jemand für ihn einsetzte.
Er stürmte durch das Wohnzimmer, durch die Diele und aus seiner Wohnung. Mit finsterer Miene wandte er sich der Nachbartür zu. Sie war geschlossen, aber nicht verschlossen.
Pinsent rammte sie auf. »Miß Lampert!«
Die Schreie waren verstummt. Eine gespenstische Stille herrschte in der Wohnung des Mädchens. Gordon Pinsent machte noch drei schnelle Schritte, dann blieb er stehen und lauschte.
Nichts war zu hören. »Miß Lampert!«
Keine Antwort.
Gordon Pinsent schluckte trocken.
Seine Augen verengten sich. Was immer geschehen sein mochte, die Person, die dafür verantwortlich war, mußte sich noch in der Wohnung befinden.
Sie hatte nicht die Zeit gehabt, zu verschwinden. Wie ein Boxer, der in Verteidigungsstellung geht, hob Gordon Pinsent seine Fäuste. Er war nicht sonderlich kräftig, glaubte dieses Manko aber mit Unerschrockenheit wettmachen zu können.
Derjenige, der ihn einschüchtern konnte, mußte erst geboren werden.
Gespannt
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