028 - Ghouls in Soho
in was für einer entsetzlichen Lage befand sie sich?
Gab es für sie noch ein Entrinnen?
Der Mann begann sich zu verwandeln. Ganz langsam ging das.
Er hatte es nicht eilig damit. Angie bekam jede Einzelheit genau mit. Gestern hatte sie es nicht so deutlich gesehen.
Heute war es noch viel schrecklicher.
Krallen wuchsen aus seinen Fingern. Seine Gestalt wurde noch gedrungener und nahm eine gebeugte Haltung an. In den bernsteinfarbenen Augen loderte ein Höllenfeuer, die Haut fing an zu glänzen und wurde schleimig. Dicke, wulstige, schorfige Lippen entblößten Zähne, wie sie Angie bisher nur bei Haien gesehen hatte.
Der Ghoul setzte zum Sprung an.
Angie Lampert wich zurück. Gleichzeitig ließ sie den Dolch herabsausen. Sie traf die Schulter des Ungeheuers. Die Klinge drang bis zum Heft ein. Angie riß sie heraus und stach noch einmal zu.
Diesmal traf sie den Hals des Ghouls. Ein tiefer Schnitt klaffte auf. Schwarzes Dämonenblut sprudelte. Aber nur ganz kurz, dann schloß sich die Wunde zu Angies größter Verblüffung wieder.
Ihre Verwirrung schien ihn zu amüsieren. Er stieß ein gutturales Lachen aus und griff sie erneut an. Angie sprang zur Seite, doch sie reagierte nicht schnell genug.
Ein Schlag traf sie und warf sie zu Boden. Sie riß den Telefontisch um. Der Apparat knallte aufs Parkett, und der Hörer hüpfte aufgeregt davon. Hilfe. Polizei. Man konnte sie mit dem Telefon rufen – wenn man genug Zeit dazu hatte, doch die ließ der Ghoul seinem Opfer nicht.
Er beugte sich über das verzweifelte Mädchen. Angie lag auf dem Rücken. Sie trat nach dem Schrecklichen, und endlich schaffte sie es, um Hilfe zu schreien.
Es schmerzte in der Kehle, aber sie hörte nicht auf zu schreien.
Der Ghoul hieb mit seinen Klauen nach ihr. Die Krallen zerfetzten die Kleidung des Mädchens.
Weißes, warmes, von Leben durchpulstes Fleisch kam zum Vorschein. Das stachelte die Gier des Ghouls an. Er riß weit sein Maul auf.
Doch das Mädchen rollte sich zur Seite, sprang auf und stach abermals mit dem Harakiri-Dolch zu. Diesmal schlitzte sie ihm die Wange auf. Doch auch diese Wunde schloß sich in der nächsten Sekunde schon wieder.
Wahnsinn. Abgrundtiefer Horror war das, dem das bedauernswerte Mädchen nichts entgegenzusetzen hatte. Sie erkannte, daß sie am Ende ihrer Kraft angelangt war.
Einen letzten verzweifelten Fluchtversuch wollte sie noch unternehmen. Wenn der auch nicht gelang, war sie unweigerlich verloren. Wild stürmte sie durch das Zimmer.
Der Ghoul erkannte ihre Absicht sofort. Er drehte sich blitzschnell, um sie zunichte zu machen. Kraftvoll stieß er sich ab.
Diesen Sprung hätte dem plumpen Ungeheuer niemand zugetraut.
Mit nach vorn gestreckten Armen flog er hinter dem Mädchen her. Seine Pranken erwischten ihre Schultern. Er riß sie erneut zu Boden, und diesmal entkam Angie Lampert ihm nicht…
***
Wir hatten uns die Nummern geteilt. Mr. Silver hatte die oberen zwei bekommen, ich die unteren. Kurze Anrufe hatten jeweils genügt, um Namen und Adressen zu den Telefonnummern zu erhalten.
Nun standen auf meiner Wunschliste Todd Donat, ein Eissalonbesitzer, und Peter Lookinland, ein Rechtsanwalt. Beide wollte ich noch an diesem Tag aufsuchen. Ein Eisen muß man schmieden, solange es heiß ist.
Ich hoffte, von Donat und Lookinland zu erfahren, warum Zohra Grant ihre Rufnummern in ihrem Notizbuch rot unterstrichen hatte.
Es mußte dafür doch einen triftigen Grund geben.
Während ich mich auf dem Weg zu Donats Eissalon befand, versuchte ich, die vier Personen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Ein gemeinsamer Nenner war natürlich Zohra Grant, aber ich suchte nach einem anderen, und mir kam in den Sinn, daß alle vier Personen – so wie Zohra – in Soho wohnten.
War das irgendwie für die Lösung des Falles von Bedeutung? Ich beschloß, diese Tatsache auf jeden Fall im Auge zu behalten. Noch befand sich das Motiv für den Mord im dunkeln, aber wenn mein Freund und ich ein bißchen Glück hatten, würde es uns gelingen, Licht in dieses undurchdringliche Dunkel zu bringen.
Ich weilte mit meinen Gedanken bereits bei Todd Donat und war neugierig, was er mir erzählen würde, als etwas völlig Unerwartetes passierte.
Aus einer Seitenstraße raste ein Wagen heraus. Von rechts! Ich hätte also Vorfahrt gehabt, doch darum scherte sich der Kerl am Steuer nicht. Er mußte den Nachmittag in einem Whiskyfaß verbracht haben, und nun wollte er der Welt beweisen, was für ein toller Rennfahrer
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