0284 - Gehirn-Gespenster
trotzdem der Hitze etwas entfliehen wollten.
Nicole sah auf die Uhr. Noch vier Stunden bis Sonnenuntergang. Sie beschloß, sich unter die Dusche zu stellen, während Zamorra zauberte, und sich für den Abend umzukleiden. Zeit genug blieb ihr ja noch.
Unten blickte in diesem Augenblick ein Mann empor. Sein Blick und der Nicoles kreuzten sich. Nicole begriff nicht, weshalb ihr ein Schauer über den Rücken lief, aber im nächsten Moment hatte sie den Mann und auch den Schauer schon wieder vergessen. Er war in ihr einfach ausgelöscht worden.
Schulterzuckend suchte sie das Bad auf.
***
Der dunkelhaarige Typ mit dem offenen Hemd senkte den Kopf wieder, drehte sich mit leichtem Schulterzucken und lehnte sich an die Theke. Er nippte an einem Getränk und sah weiter in die Runde. Patsy Blake zuckte wie unter einem Stromstoß zusammen, als ihrer beider Blicke sich kreuzten.
Der Dunkelhaarige hob leicht die Brauen und lächelte. Er war sonnengebräunt, besaß einen verwegenen Schnauzbart und einen muskulösen, durchtrainierten Körper. Ein goldenes Kettchen blinkte vor seiner Brust. Enge weiße Leinenjeans und Turnschuhe… Und jetzt nickte er Patsy auch noch freundlich zu.
Meint der wirklich mich? fragte sie sich, sah sich um, aber hinter ihr stand niemand. Dabei war die Freifläche zwischen den großen Hotelbauten nicht gerade dünn besetzt. Gut ein Dutzend Männer jeden Alters drängten sich neben dem Dunkelhaarigen an der geschwungenen Theke, andere Hotelgäste saßen unter Sonnenschirmen an kleinen Tischen am Rand, andere tummelten sich im Pool. Auf der kleinen Bühne waren ein paar Roadies dabei, Musikinstrumente aufzubauen. Für den Abend war wieder eine Show angesagt. Die Hotelleitung bot den Gästen ständig ein abwechslungsreiches Programm, das im Preis inbegriffen war.
»Hallo, Schönheit«, sagte der Dunkelhaarige jetzt und setzte das Glas hinter sich auf den Tresen. Jetzt wußte Patsy endgültig, daß sie gemeint war. Sie zuckte mit den schmalen Schultern. Na schön. Einer Bekanntschaft war sie niemals abgeneigt. Schließlich war sie ungebunden und willens, die Freuden des Lebens zu genießen, solange sie es konnte. Und der Bursche sah einfach gut aus. Fast zu gut.
»Hallo«, sagte sie. »Daß ich schön bin, weiß ich selbst. Spar dir den Schmalz, Junge. Ich möchte wetten, daß wir uns kennen.«
»Woher? Ich müßte es wissen, wenn etwas so Prächtiges wie du mir schon einmal über den Weg gelaufen wäre. Ich bin Jimmy Kent. Und du?«
Sie starrte ihn sprachlos an. Ihr Unterkiefer klappte nach unten. »Wie - bitte?« ächzte sie.
Jimmy Kent grinste. »Komm«, sagte er. »Setzen wir uns an einen der Tische. Ich mag keine Stehparties. Kellner - einen Sherry für die Dame. Und jetzt erzähl mir, was dich an mir so erschreckt.«
Sie erschauerte unter seiner Berührung, ließ sich aber wie im Traum zu einem der Tische führen. Dort sank sie auf einen der Stühle. »He, frierst du etwa bei der Affenhitze? Du hast ja eine Gänsehaut«, hörte sie Jimmy Kents Stimme wie aus weiter Ferne. »Was ist los?«
Langsam kam sie wieder zu sich.
»Das darf nicht wahr sein«, sagte sie leise und zupfte am Träger ihres Bikini-Oberteils. »Du heißt tatsächlich Jimmy Kent?«
»So sagt man«, lächelte er. »Und das hat dich umgehauen? Warte, bis du mich erst richtig kennenlernst…«
»Jimmy Kent. Unfaßbar.«
»Warum?«
»Solche Zufälle gibt es nicht«, sagte Patsy. Sie streckte den Arm aus. »Da oben, in einem der Zimmer, sitzt mein Herr Bruder wie ein Wahnsinniger an der Schreibmaschine und versucht sich an einem neuen Roman. Gut fünfzig hat er schon geschrieben und verkauft sie so prächtig, daß er davon leben kann. Weißt du, wie der… äh… Held seines derzeitigen Werkes heißt? Jimmy Kent! Und er wird genauso beschrieben, wie du aussiehst. Das haut mich um.«
»Ach, daher deine Bemerkung, du würdest mich kennen«, lächelte er. »Und wie darf ich dich anreden?«
»Patsy«, sagte sie. »Patsy Blake, wenn du es ganz genau nimmst.«
»Blake… Schriftsteller… Dann ist dein Brüderlein der Roger M. Blake?«
»Ich kann’s nicht leugnen.«
Langsam wurde sie ruhiger und streckte sich ein wenig, um die Vorzüge ihrer Figur auszuspielen; es war ein für sie typischer Reflex. Sie war schlank, fast zierlich und ziemlich hübsch mit dem schmalen Gesicht, den kindhaft großen Augen und dem herzförmigen Kußmund. Das dunkle Haar fiel ihr in langen Wellen über die sonnengebräunten Schultern. Der gewagt
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