0286 - Briefe aus der Hölle
der Lage, die Tür einfach wieder zuzurammen.
Gayle stand auf dem Fleck wie ein zu Eis erstarrter Wasserzapfen. Unfähig, sich zu rühren. Sie war schockiert und wollte einfach nicht glauben, was sie da sah.
Der Vater lachte. Es war ein rauhes, kaltes Lachen, ohne Gefühl, nur einfach so ausgestoßen.
»Aber komm doch zu mir, Kind…«
Da riß bei Gayle der Faden. Kind hatte er gesagt. Dieser Mörder wagte es, so mit ihr zu reden. Sie wurde feuerrot, wollte etwas sagen, schluckte, suchte nach dem passenden Wort, und dann spie sie es ihrem Vater förmlich ins Gesicht.
»Mörder!«
Es hallte durch das Zimmer, doch der Mann mit den wenigen grauen Haaren lächelte nur.
»Nicht ich«, sagte er. »Der Teufel. Und auch mein Ahnherr Gideon Torry. Sie haben es mir befohlen. Gideon spricht aus dem Jenseits zu mir. Ich gehöre jetzt zu ihm. Ich werde seine Taten…«
Was er noch sagte, hörte die Frau nicht mehr. Sie hatte die Tür zugerammt und wunderte sich über ihre Geistesgegenwart, daß sie es noch schaffte, den innen steckenden Schlüssel abzuziehen, ihn außen in das Schloß zu schieben und herumzudrehen.
Jetzt war die Tür verschlossen.
Gayle taumelte in die Diele. Hätte sie sich im Spiegel gesehen, so hätte sie sich wohl kaum widererkannt. Sie sah aus wie eine lebende Leiche, grün im Gesicht, scheußlich anzusehen, und sie begann zu würgen, während sie ihren Oberkörper vorbeugte und auf die Tür zutaumelte, die ins Wohnzimmer führte.
Sie war ebenfalls nicht verschlossen. Gayle stieß sie auf, machte kein Licht, stolperte über einen Sessel, fiel fast der Länge nach hin und stützte sich an dem schweren Marmortisch ab.
Für einen Moment blieb sie so stehen, bis ihr klar wurde, daß sie sich mit einem Mörder unter einem Dach befand.
Und das war ihr Vater!
Kaum zu glauben. Sie schüttelte den Kopf, weil sie es nicht fassen konnte, ging dann weiter und sah auf dem kleinen Beistelltisch das grüne Telefon.
Schwer prallte ihre Hand auf den Hörer, bevor sie ihn von der Gabel heben konnte. Selbst die Nummer der Polizei fiel ihr im Moment nicht ein.
Sie mußte überlegen und wählte dann mit zitternden Fingern.
Als sich die ruhige Stimme des Polizisten meldete, konnte sie nur noch stottern.
Sie sagte ihren Namen, die Adresse, und als der Beamte nachfragte, war es aus.
Gayle konnte nicht mehr. Vor ihren Augen drehten sich die roten Kreise, wurden immer schneller, verursachten einen Wirbel, der sie endgültig in einen Schacht riß und damit auch in die Tiefe der Bewußtlosigkeit…
***
»Nicht ich habe getötet, der Teufel und auch mein Ahnherr waren es!«
Die gleichen Worte wie Gayle Torry sie gehört hatte, vernahm auch ich, denn ich saß Henry Torry, dem Mörder, in einer Zelle im Keller des Yard-Gebäudes gegenüber.
Irgendein schlauer Beamter hatte geschaltet und sich gesagt, daß dies ein Fall für einen gewissen John Sinclair wäre, der immer dann eingesetzt würde, wenn es sich um gespenstische Fälle handelte.
So jedenfalls sah ich es in dieser Nacht, denn ich war ziemlich sauer.
Meine Laune lag gewissermaßen noch einen Strich unter Null, denn es ist wirklich kein Vergnügen, aus dem ersten, sehr tiefen Schlaf geholt zu werden.
Suko hatte ich im Bett gelassen. Es reichte aus, daß sich einer von uns die Nacht um die Ohren schlug. Dabei gab es keine konkreten Hinweise.
Nur eben eine Tote, die von ihrem Mann erwürgt worden war und der nun erzählte, daß ihm der Teufel die Eingabe eingeflüstert hätte.
Und noch eine dritte Person spielte eine Rolle. Eine gewisse Gayle Torry, die Tochter der Ermordeten, die auch nach ihrer Hochzeit den Mädchennamen nicht abgegeben hatte.
Soweit war ich über die Dinge informiert.
Und nun saß ich ihm gegenüber.
Es war eine kahle Zelle, die auch bei Verhören benutzt wurde. Man konnte den Gefangenen von mehreren Lampen anleuchten. Ich hatte auf die meisten verzichtet und begnügte mich mit einer.
Er hockte vor mir wie ein Häufchen Elend. Zusammengefallen, eingesackt die Schulter, die restlichen grauen Haare standen von seinem Kopf ab, die Hände waren ineinander verknotet. Das Hemd, das er trug, war wohl mal lila gewesen, jetzt zeigte es eine Farbe, die ich kaum identifizieren konnte.
Ein alter Mann, ein vielleicht gebrochener Mann, der zum Mörder geworden war.
Weshalb hatte er das getan?
So etwas interessierte mich, und ich forschte mit Blicken in seinem Gesicht nach.
Dort regte sich nichts. Der Mann schaute apathisch auf die Platte des
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