0288 - Dämonen-Orakel
dieses Steins sterben müssen. Doch keine Macht und kein Reichtum dieser Welt konnten das Leben eines Menschen aufwiegen.
Odysseus ergriff eine Lanze und einen Schild und ging den Scharen der zurückkehrenden Griechen entgegen. Beiläufig nahm er zur Kenntnis, daß auch seine Männer bei der Erstürmung der Stadt reiche Beute gemacht hatten.
Der Kristall mußte ganz nah sein. Er würde ihn finden.
Geistesabwesend befahl Odysseus einem seiner Unterführer, sein Schiff sofort zum Auslaufen klar zu machen. Kaum nahm er wahr, daß eben auch das Schiff des Diomedes vom Strand ins Wasser gezogen wurde.
Der Sohn des Tydeus hatte genug vom Krieg. Auch er überließ es seinen Männern, beutebeladen aus der Stadt zurückzukommen. Zwei Tränen rollten über die Wangen des harten Kämpfers, als er den Nachthimmel von Trojas Feuerschein gerötet sah.
»Aus meinem Wege, Odysseus!« wurde der Fürst von Ithaka angefaucht. »Meine Männer und ich, wir haben es eilig, nach Hause zu kommen!« Der Schein der Fackeln ließ Odysseus das Gesicht des Ajax unter dem Helm erkennen. Doch aus den Augen, die durch die Sehschlitze leuchteten, sprühte der Wahnsinn.
Mehr jedoch als Ajax wurde der Blick des Odysseus von der Frau angezogen, die neben Ajax ging.
»Es ist Kassandra, die Seherin!« antwortete Ajax unwirsch auf die Frage. »Sie ist meine Beute. Oder hast du Interesse an diesem Raben, der nur Unglück krächzt?«
Odysseus sagte nichts. Ajax konnte nicht wissen, was er selbst gesehen hatte, als er im Bauch des trojanischen Pferdes saß. Kassandra und die Macht in ihr waren gefährlicher als ein Nest Hornissen.
Dazu erkannte der Ithaker, daß die Frau das Schwert halb unter ihrem Gewand verborgen hielt, das Professor Zamorra noch vor einigen Stunden gegürtet hatte.
»Ich will nur das Juwel aus dem Palast!« sagte Odysseus mit harter Stimme. »Gebt es mir und ihr könnt gehen! Im anderen Falle mach dich auf einen Kampf gefaßt, Ajax!«
»Hier, nimm es!« sagte Kassandra. Mit einem feinen Lächeln hielt sie Odysseus den Dhyarra-Kristall entgegen und trat vor. Wenn der Ithaker ihn berührte, geriet auch er unter den Bann des Kristalls.
Doch Kassandra hatte keine Ahnung, welche Rolle Osysseus bei diesem Kampf der Götter und Sterblichen gespielt hatte. Der Fürst von Ithaka trat einen Schritt zurück, nahm den Helm vom Kopf und hielt ihn Kassandra entgegen.
»Wirf den Kristall hier hinein!« befahl er. »Ich kenne seine Geheimnisse!«
»Du wirst unter seinen Einfluß kommen. So oder so!« fauchte Kassandra und schleuderte den Stein. Doch Odysseus war ein vorzüglicher Kämpfer. Er sah den blauen Stein auf sich zurasen und wußte, daß ihn auch eine kurze Berührung wie ein Aufprall bereits zum Sklaven des Steins werden lassen konnte.
Geistesgegenwärtig riß der Ithaker den Schild hoch. Der Dhyarra-Kristall wurde davon abgeschmettert und fiel zu Boden. Wie eine Pantherkatze sprang Kassandra zu ihm hin und ergriff den Kristall.
»Er weiß zu viel. Töte ihn, Ajax!« zischte sie bösartig. Im gleichen Augenblick rannte Ajax wie ein röhrender Stier auf Odysseus zu. Der Fürst von Ithaka wußte, daß sein Speer die Rüstung des Ajax nicht durchbohren konnte. Denn es war die erste Rüstung des Achilles gewesen, die Hektor jedoch erbeutete. Professor Zamorra hatte sie aus Troja bei einem früheren Abenteuer mitgebracht und dem kleinen Ajax zum Geschenk gemacht. Odysseus dagegen trug die Dämonen-Rüstung, die Achilles unverwundbar machte.
Der Kampf war für die beiden Fürsten der Griechen mit ihren irdischen Waffen nicht zu gewinnen.
Odysseus wußte das genau. Und er handelte danach.
Sich abduckend, daß der Speer des Ajax über ihn hinwegzischte, schlug er mit dem Speer seinerseits einen weitausgeholten. Rundschlag gegen die Beine des Fürsten von Lokris. Hell klang der Hieb gegen die Beinschienen des Ajax. Als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, stürzte der Grieche zu Boden. Bevor er sich erheben konnte, schlug Odysseus mit dem Schild zu, daß der Helm des Gegners dröhnte. Mit einem Schnaufer sank der Lokrer in Ohnmacht.
»Pack den Kristall in den Helm, wie ich befohlen habe!« sagte Odysseus noch einmal mit aller Schärfe in der Stimme.
»Was soll ein toter Mann mit dem Kristall!« fragte Kassandra spöttisch. Mit beiden Händen hielt sie das Schwert Gwaiyur in ihren Händen.
»Du hast keine Wahl!« knurrte Odysseus. »Du bist eine Frau - ich dagegen hatte zehn Jahre Zeit, das Handwerk eines Kriegers
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