029 - Verfluchte aus dem Jenseits
Gaststube verschwand, in die durch die kleinen Fenster nur wenig
vom Licht der Morgensonne fiel. Der Briefträger war es gewohnt, hier einen
Stärkungstrunk zu erhalten. Der Postler stellte sein Vehikel ab und stiefelte
hinter dem Wirt her. »Ich vermisse jemand. Sioban… Ist sie krank?«
»Nein…«
James
Coutrey reichte das großzügig gefüllte Whiskyglas über die Theke. Der
Briefträger rückte einen der altmodischen Stühle zurecht und setzte sich an den
Stammtisch in unmittelbarer Nähe der Theke.
»Von
dir hab ich noch nie ’nen Whisky bekommen… Das ist ein Urerlebnis«, redete der
Briefträger weiter, während Coutrey die Briefe durchsah.
»Nichts
Vernünftiges dabei. Rechnungen und Reklamen… Die Arbeit für beides könntest du
dir sparen. Das alles ist unnötig…« James Coutrey trank einen Whisky mit.
»Cheerio.«
»Ist
sie verreist?«
»Wer?
Sioban?«
Der
Briefträger schüttelte verwundert den Kopf. »Du bist heute morgen noch nicht
ganz wach, James. Von wem sonst hier in diesem Haus könnte ich reden?«
»Ich
habe sie ermuntert, mal eine Tante zu besuchen. In Glasgow.«
»Ich
wußte gar nicht, daß ihr dort Verwandte habt.«
»Doch,
haben wir. Das alte Mädchen ist sehr schreibfaul, dafür telefoniert sie oft
stundenlang. Sioban wollte schon immer mal hin. Jetzt hat’s gerade geklappt.«
»Eine
gute Idee! Junge Menschen sollten die Welt kennenlernen, James, und nicht in
diesem gottverlassenen Nest versauern…«
Der
Briefträger leerte sein Glas. »Dein Whisky ist gut wie immer. Aber aus Siobans
Hand schmeckt er besser…« Der Mann mit dem graudurchwirkten Bart grinste
verschmitzt. »Das hängt wohl damit zusammen, weil sie hübscher ist als du.« Er
versetzte dem Wirt einen freundschaftlichen Schlag auf die Schultern, verließ
die Kneipe und schwang sich draußen vor der Tür wieder auf sein klappriges
Fahrrad. Coutrey sah ihm nach, wie er auf dem holprigen Weg neben dem Wirtshaus
verschwand. Dreihundert Meter weiter stand ein altes Bauernhaus, in dem noch
eine Familie wohnte. Die kargen Felder und Äcker, die zum Anwesen gehörten,
wurden schon lange nicht mehr bestellt.
James
Coutrey kehrte wieder ohne Eile die Straße vor seinem Haus. Alltag… Dazu
gehörte auch das Straßenfegen. Fünf Minuten später kam der Briefträger wieder
zurück und hielt noch mal bei Coutrey. »Sioban ist schneller, James. Auch beim
Kehren merkt man, daß wir alt werden. Alles geht langsamer vonstatten. Außer
dem Trinken, das geht zum Glück noch flott…« Er sah Coutrey eine Weile beim
Kehren zu. »Hast du dich verletzt?« fragte er plötzlich. Er deutete auf den
Mittelfinger der linken Hand, an dem der Wirt ein großes Pflaster trug. Der
stets zu einem Scherz aufgelegte Briefträger ließ Coutrey erst gar nicht zu
einer Erklärung kommen. »Wahrscheinlich beim Ausschenken, wie? Selbst das bist
du nicht mehr gewöhnt… Wie lange bleibt Sioban denn dort?«
Achselzucken.
»Keine Ahnung. Zwei oder drei Wochen werden’s wohl werden…«
»Dann
kann ich dir nur den Rat geben, dich nicht zu Tode zu schuften. Bis Sioban
zurück ist, wirst du dir sonst sämtliche zehn Finger ramponiert haben…«
»Du
hattest schon immer eine komische Ader, dich auf anderer Leute Kosten lustig zu
machen…«, entgegnete Coutrey.
Die
beiden Männer plauderten noch einige Minuten über lokale Probleme, dann machte
der Briefträger sich wieder auf den Weg ins Ortsinnere, wo er seine Frau
ablösen mußte, die die Poststelle leitete und die er vertrat, wenn sie das
Mittagessen kochte. Auch der Briefträger hatte nicht erkannt, daß James Coutrey
ein anderer war. Im Dorf war etwas Sensationelles passiert, grundlegende Dinge
hatten sich ereignet, aber denjenigen, die direkt damit zu tun hatten, sah man
es am wenigsten an. Bis auf eine kleine Wunde am Finger gab es keine
Erkennungszeichen. Mit einer solchen Verletzung hatte es auch bei Sioban
Coutrey angefangen. Nun war die hübsche Wirtstochter tot. Nicht mal ihr eigener
Vater wußte es. Er log eine Geschichte zusammen, ohne selbst über deren Inhalt
nachzudenken. Alles geschah mechanisch…
Das
Geräusch eines sich von der Küste nähernden Autos ließ Coutrey aufblicken. Im
hellen Licht der Vormittagssonne fuhr ein weißer Sportwagen mit schwarzem
Verdeck die Dorfstraße herunter.
Das
Verdeck war zurückgeklappt. Der Fahrtwind zerzauste das Haar des Mannes, der am
Steuer saß.
Es
war Klaus Thorwald.
Er
befand sich nicht allein im Auto. Neben ihm saß eine elegant
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