0293 - Im Netz des Vampirs
den Staub des Bodens. Zugleich wurde der gorgon offensichtlich durch dieses Ereignis irritiert, so daß sich Pocco mit einem gewaltigen Satz zur Seite retten konnte.
Der Fleischberg raste an ihm vorbei.
Pocco erkannte seine Chance. Nur durfte er keinen Sekundenbruchteil länger zögern, um sie zu nutzen!
Die Stahlschleuder…
Der Yalter schoß den widerhakenbesetzten Pfeil mit der Wucht seiner Gedanken auf den gorgon ab - genau in dem Moment, als das riesige Tier auf gleicher Höhe mit ihm war und ihm die Breitseite mit dem verwundbaren weißen Fleck darbot!
Dieser Fleck war kaum handtellergroß, saß an der rechten Flanke des Kolosses und wurde von keiner Chitinplatte geschützt. Ein Pfeil, der genau traf, drang durch butterweiches Gewebe bis zum Herzorgan des gorgons vor und war tödlich.
Aber Poccos Pfeil - traf nicht!
Wirkungslos prallte er gegen eine der undurchdringlichen Panzerplatten, schlitterte ab und schlug irgendwo in den Steppensand…
Damit war Poccos Schicksal besiegelt. Einen zweiten Pfeil besaß er nicht, und auch seine Kraft war vorläufig verbraucht. Der kleine Yalter schloß resignierend die Augen. Noch einmal sah er den Stamm vor seinem inneren Auge, den Gral mit den Dorfältesten, die anderen Jäger, die hoffentlich erfolgreicher als er heimkehren würden…
Von fern hörte er das anschwellende Stakkato rasender Hufe, die auf ihn zukamen. Der gorgon hatte inzwischen gewendet. Und im nächsten Moment brach der infernalische Schrei des Giganten über Pocco herein, krallte sich in seinen Schädel, in seine Arme und Beine, in jeden Quadratzentimeter Haut.
Narr, schrie das Dreiherz kaum noch verständlich. Verfluchter Narr… !
Dann war es vorbei.
***
Der Raum war in auf- und abschwellende Lichtfluten getaucht. Von allen Seiten pochten Geräusche wie der vielmillionenfache Herzschlag eines unvorstellbaren, lebenden Organismus.
Das Netz bedeckte den pulsierenden Körper völlig. Wie ein bläuliches Aderwerk zeichnete es sich auf der grünen Schuppenhaut des Zwerges ab, der in selbstverordneter Starre in einem wanrienähnlichen Gebilde in der Mitte des Raumes lag. Seine Augen waren geschlossen, der Mund ebenfalls. Nur die kiemenartigen Membranen, die statt einer Nase in der Gesichtsmitte flatterten, bewiesen, daß die Gestalt überhaupt atmete und damit lebte.
Sanguinus lauschte hinaus in die Weite des mentalen Äthers.
Es war lange her, seit er das letzte Mal auf Sangu, der Welt seiner Herkunft, geweilt hatte. Erst kürzlich gelang es ihm, den Weg dorthin zurückzufinden. Monatelang war er davor auf der Erde herumgeirrt auf der verzweifelten Suche nach einer Möglichkeit, auf seine Heimatwelt zurückzukehren. Und nun, da er diese Möglichkeit gefunden hatte, zog ihn praktisch nichts mehr zurück. Er hatte erst heimkehren müssen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß ihn nichts mehr mit seiner früheren Identität verband. Das Leben auf der Erde hatte ihn verändert. Vielleicht auch die magischen Auseinandersetzungen. Nur zu genau war ihm die Episode in Erinnerung, als er bei den unheiligen Menhiren von Carnac versucht hatte, sich Zamorras Zauberamulett anzueignen. Die Sache war gründlich schiefgegangen. Sanguinus wäre unter der Berührung des plötzlich erwachenden magischen Instruments fast vernichtet worden. Nur die in den Menhiren gespeicherte, schwarzmagische Kraft schützte ihn so weit, daß er sich im letzten Moment von Merlins Stern befreien und fliehen konnte. Dennoch war etwas mit ihm passiert in diesen qualvollen Sekunden. Sein Körper war zu dem eines Zwerges geschrumpft, und er hatte die zuvor besessene Fähigkeit der beliebigen Gestaltwandlung eingebüßt.
Seit jener Zeit war sein superstarker Geist in diesem grotesken, verfetteten Gnomenkörper gefangen, der kaum noch Ähnlichkeit mit jenem Original hatte, in dem er einst auf Sangu wandelte und Schrecken und Tod verbreitete!
Doch seine schwarzmagische Macht war ungebrochen. Und so lag er unter dem mentalen Netz im Herzen seines Palastes, über das er mit jedem Ort unter der Roten Sonne verbunden war, und wartete auf das Erscheinen seines Erzfeindes.
Irgendwann mußte ihn das Dimensionstor ausspucken.
Und Sanguinus wollte ihm einen heißen Empfang bereiten…
***
Die Zeit offenbarte sich als eine zähe, sirupartige Masse: Räume und Entfernungen waren unbestimmbare Größen, die ihre Bedeutung verloren hatten. Eisige Schwärze tränkte jede Faser seines Körpers. Er war blind und taub, und seine Gedanken jagten
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