0293 - Im Netz des Vampirs
»Waffenstillstand?«
»Gewährt«, erklärte er geschlagen.
»Du bist ein Schatz!«
»Stimmt.« Zamorra lächelte hintergründig. »Man könnte auch sagen, der Klügere gibt…«
»Fängst -du schon wieder an?«
»Nein, nein!« beeilte er sich. »Schon gut… Denk an unseren Waffenstillstand…«
Zehn Minuten später trafen sie sich mit Raffael, dem Butler im Foyer von Château Montagne. Der schlanke, grauhaarige Endsechziger, der fast schon zum Inventar des Loire-Schlosses zählte und den guten Geist im Haushalt verkörperte, hatte sich ebenfalls in Schale geschmissen. Die gestreifte Butlerlivree hatte er gegen einen eleganten dunklen Anzug eingetauscht, der ihm hervorragend zu Gesicht stand. Nicole sparte deshalb nicht mit Komplimenten.
Raffael errötete leicht und gab die Schmeicheleien artig zurück. Obwohl er - oder täuschte sich hier der Beobachter? - bei Nicoles Anblick im ersten Moment indigniert die linke Augenbraue angehoben hatte.
»Wo sind die anderen?« fragte Zamorra innerlich schmunzelnd.
»Wir treffen sie im Dorf«, erläuterte Raffael.
Zamorra nickte. Natürlich, alle Bediensteten des Schlosses wohnten unten im Dorf, mit Ausnahme des Butlers, und es war nur zweckmäßig, daß sie gleich unten blieben. Das Fest hatte Vorrang. Einmal im Jahr.
»Also dann - gehen wir«, drängte Nicole.
Sie verließen Château Montagne, den schützenden Hort, der auf jede nur denkbare Art gegen dämonische Angriffe abgesichert war, und machten sich auf den Weg hinunter ins Dorf.
Noch ahnten sie nicht, daß das Fest, auf das sie sich seit Wochen freuten, für sie zur heimtückischen Falle werden sollte…
***
Der Tod war plötzlich da und schnellte sich Pocco mit einem wuchtigen Satz entgegen!
Der Yalter reagierte gedankenschnell. Er wäre kein echter Jäger gewesen, hätte er sich einfach von dem Angriff übertölpeln lassen. Dennoch ging es um Sekundenbruchteile.
Glühender, pestilenzartiger Atem streifte ihn, als der weit aufgerissene Rachen der Springkatze auf ihn zuschoß - zwei auseinanderklaffende gelbweiße Zahnreihen mit spitzen, daumendicken Reißzähnen, in deren Spitzen winzige Giftkanäle mündeten.
Im letzten Augenblick gelang es Pocco, seine Kraft zu sammeln und gegen den Angreifer zu schleudern.
Keine Handbreit trennte den länglichen Schädel der Raubkatze mehr von dem kleinen Yalter, als sie jäh ins Taumeln geriet und nach links abdriftete!
Pocco stieß den langgezogenen Kampfschrei seines Stammes aus, warf sich selbst zwei, drei Schritte nach rechts und riß die Stahlschleuder aus dem Gürtelhalfter.
Zum Zielen blieb ihm keine Zeit. Die Springkatze hatte den Kraftstoß bereits verdaut und drehte den übergroßen Kopf hoch im Flug. Im nächsten Augenblick wirbelte eine Staubwolke auf, als ihre Tatzen in den Boden schlugen und sie sich blitzartig wieder in Poccos Richtung drehte.
Der wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Mehr als ein Versuch blieb ihm nicht. Es gab nichts Schlimmeres und Gefährlicheres als eine gereizte Springkatze - von einem gorgon einmal abgesehen.
Das Raubtier setzte bereits zum nächsten Sprung an. Muskelbündel spannten sich und pulsierten unter dem feuerroten Fell der Bestie.
Pocco konzentrierte sich mit aller Macht auf den Pfeil in der Stahlschleuder. Mit tränenden Augen starrte er durch die aufgewirbelte Staubwolke zu der Springkatze hinüber, die jetzt mehr denn je einer Höllenkreatur ähnelte. Der Staub umhüllte sie wie eine stinkende Schwefelwolke…
Dann sprang die Bestie!
In derselben Sekunde feuerte der kleine Yalter kraft seiner Gedanken den Pfeil ab!
Ein markerschütternder Schrei zerfraß die Luft.
Der Nebel aus feinsten Sandpartikeln hatte sich inzwischen so weit gesenkt, daß Pocco den mit Widerhaken besetzten Pfeil gerade noch im Rachen des Ungetüms verschwinden sehen konnte.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.
Nach dem furchtbaren Schrei senkte sich abrupt Stille über die weite Ebene. Der plötzlich entspannte Körper der Raubkatze krachte schwer vor Pocco auf den unwirtlichen Boden. Die gelben Augen erloschen übergangslos, wurden tiefschwarz wie bodenlose Schächte. Die Kiefer schlossen sich für immer, und die längliche Schnauze versank bis zu den beiden Atmungslöchern im weichen Sand.
Ein letztes Beben pflanzte sich durch den tropfenförmigen Rumpf, dann war es vorbei.
Pocco sank erleichtert zu Boden und sandte ein Gewirr von Stoßgebeten zu den Mächten des Lichts. Doch er faßte sich recht schnell
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