0295 - Tal der vergessenen Toten
den gewaltigen Kreis des Baggers, aus dem die Schaufeln wie kleine Hügel hervorstachen.
Und die bewegten sich plötzlich.
Das geschah so rasch und unerwartet, daß der Fahrer des ersten Wagens auf die Bremse trat. Er hatte sich ziemlich erschreckt, brachte den Jeep zum Stehen, und alle hörten die quietschenden, zitternden und knarrenden Geräusche, die von dem gewaltigen Bagger ausgingen.
Das »Untier« war erwacht.
Er röhrte in den Nebel hinein, warnte vielleicht, und die zahlreichen Schaufeln wurden im Kreis bewegt.
Auch der zweite Wagen hatte gehalten. Er stand schräg neben dem ersten. Unteroffizier Schmitz sprang aus dem Jeep. Er wandte sich an seinen Vorgesetzten.
»Bleiben wir hier, Herr Leutnant?«
»Sie und die Männer ja.«
»Und Sie?«
»Ich werde nachschauen.«
Schmitz räusperte sich. »Herr Leutnant, ich will Ihnen ja nichts vorschreiben, das kann ich auch nicht, aber denken Sie an die Schüsse, die gefallen sind. Vielleicht treiben sich Killer in der Nähe herum. Man kann ja nie wissen.«
»Danke für Ihre Fürsorge, Schmitz, aber das schaffe ich schon allein. Achten Sie auf die Männer.«
»Soll ich mich mit dem Hauptquartier…«
»Nein. Die können dort die Lage überhaupt nicht beurteilen. Lassen Sie alles so, wie es ist. Das andere erledige ich schon.«
»Gut, Herr Leutnant.«
Ziegler sprang aus dem Wagen. Er winkte den starr dasitzenden Soldaten noch einmal zu und verschwand. Seine Bewegungen waren fließend. Sie verschmolzen förmlich mit der grauen Suppe. Es war dem Offizier anzumerken, daß er eine Ranger-Ausbildung hinter sich hatte. Er konnte sich im Gelände bewegen.
Klein wie eine Ameise kam sich der Leutnant vor, als er sich dem großen Bagger näherte. Er stand vor dem stählernen Riesen, schaute hinauf und sah das sich drehende Schaufelrad.
Die einzelnen Schaufeln bewegten sich zwar, aber sie waren leer. Es wurde keine Erde hochgewühlt.
Der Mann schaute in die Höhe. Weit konnte er nicht sehen, die Schaufeln verschwanden sehr schnell im Nebel, aber Ziegler fragte sich, wer die gewaltige Maschine in Gang gesetzt haben könnte.
Einen Menschen sah er nicht.
An einen Geist wollte er nicht glauben, denn Geister schossen nicht. Der Leutnant ging vor. Er wollte unter den Bagger, wo er das Führerhaus und die Steuerleitzentrale wußte. Da mußte sich doch derjenige aufhalten, der die Maschine möglicherweise steuerte.
Ziegler kam nicht weit, denn plötzlich sah er etwas, das seinen Atem stocken ließ.
Wieder kam ihm eine Schaufel entgegen. Diesmal jedoch war sie nicht leer. In ihr stand eine Gestalt, das konnte Ziegler trotz des Nebels erkennen.
Diese Gestalt war ein Mensch - ein Mann.
Und er kam näher. Der Bagger brachte die Schaufel heran, so daß Ziegler den Mann dort besser erkennen konnte. Bald mußte er Bodennähe erreicht haben.
Der Leutnant hatte noch die Zeit, sich den Mann genauer anzusehen. Er schüttelte dabei den Kopf.
So ein Mensch war ihm noch nie in seinem Leben begegnet. Der trug nicht einmal die passende Kleidung für dieses Wetter, hatte praktisch nur Fetzen um seinen Leib gewickelt. Zudem hatte er ein fast kahlköpfiges bleiches Gesicht, und auch seine Haut schimmerte seltsam blaß.
Im nächsten Augenblick spie die Schaufel den Mann aus. Es ging schnell, vielleicht zu schnell, denn der Kerl konnte das Gleichgewicht nicht halten und fiel dicht vor dem Leutnant zu Boden.
Dem war die ganze Sache unheimlich. Er tat es nicht gern, aber er mußte so reagieren.
Ziegler zog die Pistole.
»Stehen Sie auf!« befahl er. »Und dann möchte ich einige Erklärungen von Ihnen haben.« Während dieser Worte war die Mündung der Waffe auf den lebenden Toten gerichtet.
Dessen Bewegungen waren langsam, schwerfällig. Im Zeitlupentempo ging es voran, er streckte seine Arme aus, stützte sich ab und quälte sich hoch. Leutnant Ziegler blieb sicherheitshalber einen Schritt vor ihm stehen. Ihm war die ganze Sache nicht geheuer, und er dachte wieder an die Aussagen des jungen Gerd Wiesner.
Der Kerl, der auf dem Bagger gefahren war, ähnelte stark der Person, die Gerd als Mörder seiner Eltern beschrieben hatte.
War das der Killer?
Ziegler spürte in seinem Magen einen Klumpen. Möglich konnte alles sein, er würde ihn fragen.
Der Zombie hatte sich aufgerichtet. Leicht schwankend stand er vor dem Leutnant und starrte ihn aus seinen gefühllosen Augen an.
»Wer sind Sie?« fragte Ziegler.
Er erhielt keine Antwort. Der Zombie öffnete nicht einmal sein
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