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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ihrer linken Brust. Leise vor sich hinschimpfend, klopfte sie ihre Bluse ab, aber als sie aufblickte und das Lächeln ihres Mannes sah, wurde ihr Gesicht weich. »Total verrückt«, sagte sie. »Aber das warst du ja immer.«
    Er zwinkerte ihr zu und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Sie blieb an der Tür stehen und sah ihm zu.
    Aus dem Metallschrank holte Kevin das Bimssteinpulver, mit dem er den Marmor zu glätten pflegte, ehe er ein Werk als vollendet betrachtete. Nachdem er das Pulver mit Wasser gemischt hatte, verschmierte er es üppig über seine liegende Nackte und rieb es mit kräftiger Hand in den Stein. Er bearbeitete Beine und Bauch, Brüste und Füße und ging bei der Feinarbeit am Gesicht mit besonderer Sorgfalt zu Werke.
    Er merkte, daß seine Frau unruhig zu werden begann, und sah, daß sie hinter sich in die Küche schaute, wo über dem Herd die rote Blechuhr hing.
    »Halb elf«, sagte sie nachdenklich.
    Es sollte wohl so klingen, als spräche sie mit sich selbst, aber Kevin ließ sich nicht täuschen.
    »Komm, Patsy«, beruhigte er sie. »Du machst dir unnötige Gedanken. Reg dich nicht auf. Der Junge ruft bestimmt an, sobald er kann.«
    »Halb elf«, wiederholte sie, ohne auf seine Worte zu achten. »Matt hat gesagt, sie würden spätestens zur Eucharistiefeier zurück sein, Kev. Und die war sicher um zehn vorbei. Jetzt ist es halb elf. Wieso hat er noch nicht angerufen?«
    »Wahrscheinlich hat er 'ne Menge zu tun. Auspacken. Den anderen von seinem tollen Wochenende erzählen. Lernen muß er sicher auch noch. Dann gibt's Mittagessen. Na und da hat er eben ganz vergessen, seine Mama anzurufen. Aber nach dem Mittagessen hören wir bestimmt von ihm. Mach dir doch jetzt keine Sorgen, Schatz.«
    Kevin wußte, daß dieser gute Rat etwa die gleiche Wirkung hatte, wie wenn er der Themse, die dicht vor ihrer Haustür vorbei strömte, befohlen hätte, ihr regelmäßiges An- und Abschwellen im Wechsel der Gezeiten zu unterlassen. Seit zwölfeinhalb Jahren gab er ihr diesen Rat in allen möglichen Variationen; aber selten half er auch nur das Geringste. Patsy ließ es sich nicht nehmen, sich um jede Kleinigkeit, die Matts Leben anging, zu sorgen. Sie las jeden seiner Briefe aus dem Internat so gründlich und so oft, bis sie ihn auswendig konnte, und wenn sie nicht wenigstens einmal die Woche von ihm hörte, steigerte sie sich in Ängste hinein, die niemand außer Matthew selbst beruhigen konnte. Im allgemeinen meldete er sich zuverlässig, und gerade darum war sein Schweigen nach seinem Wochenendausflug in die Cotswolds um so unverständlicher. Das jedoch gab Kevin seiner Frau gegenüber nicht zu.
    Die Pubertät, dachte er. Jetzt kommt's auf uns zu, Patsy. Der Junge wird erwachsen.
    Patsys Bemerkung verblüffte ihn; er hatte nicht geglaubt, daß er so leicht zu durchschauen war.
    »Ich weiß, was du denkst, Kev«, sagte sie. »Er wird älter. Er will nicht mehr, daß seine Mutter sich dauernd um ihn kümmert. Und das ist ja auch richtig. Ich weiß es.«
    »Und?«
    »Und drum warte ich noch ein bißchen, ehe ich in der Schule anrufe.«
    Es war, das wußte Kevin, der beste Kompromiß, den sie zu bieten bereit war.
    »Na also. Das find ich gut, Schatz.« Er wandte sich wieder seiner Skulptur zu.
    Seine Frau mußte ihn später zweimal beim Namen rufen, um ihn aus der fremden Welt zurückzuholen, in die seine Muse ihn entführt hatte. Sie stand wieder an der Tür, doch diesmal hielt sie statt des Geschirrtuchs eine schwarze Kunstlederhandtasche, und sie trug ihre neuen schwarzen Schuhe und den guten marineblauen Wollmantel. An den Kragen hatte sie eine funkelnde Straßbrosche gesteckt - eine anmutige Löwin mit zum Schlag erhobener Pranke. Die Augen waren kleine grüne Punkte.
    »Er ist auf der Krankenstation.« Das letzte Wort sprach sie im schrillen Ton beginnender Panik.
    Kevin blinzelte verwirrt, und sein Blick fiel, vom Spiel des Lichts angezogen, auf die angreifende Löwin.
    »Krankenstation?« wiederholte er.
    »Matt ist auf der Krankenstation, Kev. Er war das ganze Wochenende dort. Ich hab eben in der Schule angerufen. Er ist überhaupt nicht zu den Morants gefahren. Er liegt krank auf der Station. Und der kleine Morant wußte nicht einmal, was er hat. Er hat ihn seit Freitag beim Mittagessen nicht mehr gesehen.«
    »Und was willst du jetzt tun, Pats?« fragte Kevin, obwohl er genau wußte, wie die Antwort lauten würde. Aber er wollte einen Moment Zeit gewinnen, um zu überlegen, wie er sie am besten

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