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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, Inspector Thomas Lynley.
    Er war dort, wo sie ihn kurz vor Mittag an diesem Tag zurückgelassen hatte, allein in seinem Büro, den Kopf in die Hand gestützt, seine Aufmerksamkeit scheinbar auf seinen Teil des Berichts konzentriert, der vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreitet lag. Die Sonne des späten Sonntagnachmittags warf lange Schatten auf Wände und Boden, so daß es fast unmöglich war, ohne künstliches Licht zu lesen. Und da Lynley die Lesebrille bis zur Nasenspitze hinuntergerutscht war, trat Barbara leise ins Zimmer, gewiß, daß er eingeschlafen war.
    Gewundert hätte es sie nicht. In den letzten zwei Monaten hatte Lynley mit seiner Gesundheit groben Raubbau getrieben. Seine beinahe ständige Anwesenheit im Yard - die zu ihrem Leidwesen im allgemeinen auch die ihre erforderlich machte - hatte ihm bei seinen Kollegen in der Abteilung den Spitznamen Mr. Immerda eingetragen.
    »Marsch, nach Hause mit Ihnen, Freundchen«, pflegte Inspector MacPherson mit seiner dröhnenden Stimme zu sagen, wenn er ihm im Korridor, bei einer Besprechung oder in der Kantine begegnete. »Sie stellen uns andere ja als Faulpelze hin! Haben Sie's so eilig, Superintendent zu werden? Gut werden Sie auf Ihren Lorbeeren schlafen, wenn Sie an Überarbeitung gestorben sind.«
    Lynley pflegte auf seine ihm eigene herzliche Art zu lachen und der Frage nach dem Grund seines unermüdlichen Fleißes auszuweichen. Aber Barbara wußte, warum er bis spät in die Nacht hinein arbeitete, sich freiwillig für den Notdienst zur Verfügung stellte und auf die erste Bitte hin den Dienst für andere übernahm. Sie nahm die Ansichtskarte zur Hand, die fast am Rand seines Schreibtischs lag.
    Sie war fünf Tage alt, reichlich mitgenommen von beschwerlicher Reise quer durch Europa vom Ionischen Meer nach England. Das Bild zeigte einen merkwürdigen Zug von Weihrauchschwenkern, Zepterträgern und goldgewandeten griechisch-orthodoxen Priestern mit wallenden Bärten, die eine von Edelsteinen funkelnde Sänfte trugen, deren Seitenwände aus Glas waren. Drinnen ruhte, den verhüllten Kopf an das Glas gelehnt, als schliefe er nur und wäre nicht schon seit über tausend Jahren tot, der heilige Spyridon, oder besser, seine sterbliche Hülle. Barbara drehte die Karte um und las unverfroren den Text, obwohl sie sich den Tenor des Geschriebenen auch so denken konnte.
    »Tommy, mein Schatz - stell Dir vor, man würde Deine armen Gebeine viermal im Jahr so durch die Straßen von Korfu schleppen! Bei diesem Anblick fragt man sich wirklich, ob es sich lohnt, ein heiliges Leben zu führen, nicht? Es wird Dich freuen zu hören, daß ich der Förderung meiner Allgemeinbildung mit einem Besuch des Zeus-Tempels in Kassiope Rechnung getragen habe. Ich bin sicher, Du findest ein so ehrgeiziges Unterfangen lobenswert. H.«
    Barbara wußte, daß dies die zehnte Karte dieser Art war, die Lynley in den letzten zwei Monaten von Lady Helen Clyde erhalten hatte. Eine war wie die andere, freundlicher und witziger Kommentar zu diesem oder jenem Aspekt griechischen Lebens, der Helen Clyde erheiterte, während sie das Land auf einer anscheinend endlosen Reise durchstreifte, die sie im Januar angetreten hatte, nur wenige Tage, nachdem Lynley sie gebeten hatte, seine Frau zu werden. Ihre Antwort war ein entschiedenes Nein gewesen, und die Ansichtskarten, die sie alle nach New Scotland Yard sandte und nicht an Lynleys Privatadresse, unterstrichen ihre Entschlossenheit, ungebunden zu bleiben.
    Daß Lynley täglich, wenn nicht gar stündlich, an Helen Clyde dachte, daß er sie begehrte und liebte, das waren, wie Barbara wußte, die unausgesprochenen Gefühle hinter seiner nicht erlahmenden Bereitschaft, ohne Protest einen Fall nach dem anderen zu übernehmen. Alles war ihm recht, um den heulenden Wölfen der Einsamkeit zu entfliehen, um zu verhindern, daß der Schmerz eines Lebens ohne Helen sich in ihm festfraß wie ein giftiges Geschwür.
    Barbara legte die Karte wieder hin, trat ein paar Schritte zurück und ließ ihren Berichtteil mit gekonntem Schwung in seinen Eingangskorb segeln. Der nachfolgende Luftzug, der sein Gesicht streifte, und das Rascheln seiner Papiere, die zu Boden flatterten, weckten ihn. Er fuhr hoch, quittierte die Tatsache, daß er im Schlaf ertappt worden war, mit einem entwaffnenden Lächeln, rieb sich das Genick und nahm seine Brille ab.
    Barbara ließ sich seufzend in den Sessel neben seinem Schreibtisch fallen und fuhr sich so

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