03 Die Auserwählten - In der Todeszone
»Was? Was gibt’s?«
»Nichts. Ich will nur wissen, was los war. Hat Hans das Ding abgestellt? Sind wir repariert?«
Minho riss den Mund zu einem Riesengähner auf und nickte. »Ja – alle beide. Wenigstens hat er das gesagt. Mann, du bist voll ausgerastet. Erinnerst du dich noch an die Sache mit dem Küchenmesser?«
»Natürlich.« Thomas’ Gesicht verfärbte sich knallrot vor Scham. »Es war, als ob ich gelähmt gewesen wäre oder so. Ich habe wirklich alles versucht, aber ich konnte nichts gegen die Macht tun, die mich kontrolliert hat.«
»Alter, du hast versucht mich zu kastrieren!«
Thomas lachte, was er seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Es war ein schönes Gefühl. »Schade, dass ich’s nicht getan habe. Das hätte der Welt noch ein paar kleine Minhos erspart.«
»Vergiss einfach nicht, dass du mir was schuldest.«
»Gut, das.« Er schuldete ihnen allen sehr, sehr viel.
Brenda, Jorge und Hans kamen mit ernsten Mienen herein, und das Lächeln auf Thomas’ Gesicht erlosch.
»War Gally da und hat mal wieder ’ne aufbauende Ansprache gehalten?«, fragte Thomas und bemühte sich um einen witzigen Tonfall. »Ihr seht richtiggehend depressiv aus.«
»Und seit wann haben wir so gute Laune, junger Mann?«, gab Jorge zurück. »Vor ein paar Stunden hast du mit dem Messer auf uns eingestochen.«
Thomas wollte erklären, sich entschuldigen, aber Hans winkte ab. Er beugte sich über das Bett und leuchtete Thomas mit einer kleinen Lampe in beide Augen. »Scheint, als würde dein Gehirn schnell wieder klar. Die Kopfschmerzen müssten auch bald verschwunden sein – bei dir war die Operation wegen des Sicherheitsmechanismus ein bisschen schwieriger.«
Thomas sah Brenda fragend an. »Bin ich geheilt?«
»Ja, es hat funktioniert«, antwortete sie. »Wenn man von der Tatsache ausgeht, dass du nicht mehr versuchst, uns umzubringen, würde ich sagen, es ist deaktiviert. Und …«
»Was?«
»Von Teresa oder Aris wirst du jetzt auch nichts mehr hören.«
Noch am Vortag hätte es Thomas vielleicht ein wenig traurig gemacht, dass seine telepathischen Fähigkeiten weg waren, aber jetzt war er nur noch erleichtert. »Soll mir recht sein. Irgendwelche Anzeichen von Problemen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht – trotzdem können Hans und seine Frau kein Risiko eingehen. Sie müssen fliehen. Aber er wollte dir vorher noch etwas sagen.«
Hans war einen Schritt zurückgeblieben, aber jetzt trat er mit gesenktem Blick zu ihm ans Bett. »Ich wünschte, ich könnte bei euch bleiben und euch helfen, aber ich habe eine Frau, sie ist meine Familie. Ich muss als Erstes für sie sorgen. Ich möchte euch viel Glück wünschen. Ich hoffe, dass ihr das schaffen werdet, wozu mir der Mut fehlt.«
Thomas nickte. Der Mann verhielt sich ihm gegenüber ganz anders – vielleicht hatte ihn das Ereignis mit Thomas daran erinnert, wozu ANGST in der Lage war. »Danke. Und wenn wir es schaffen, ANGST zu stoppen, dann kommen wir euch holen.«
»Warten wir’s ab«, murmelte Hans.
Hans trat zurück und lehnte sich wieder an die Wand. Der Mann musste eine Menge düsterer Erinnerungen mit sich herumschleppen.
»Und jetzt?«, fragte Brenda.
Thomas wusste, dass ihnen keine Zeit zum Ausruhen blieb. Und er wusste haargenau, was zu tun war. »Als Erstes suchen wir unsere Freunde, damit sie sich uns anschließen können. Dann gehen wir zurück zu Gally. Das Einzige, was ich bisher in meinem Leben zu Stande gebracht habe, ist der Aufbau eines Experiments, das gescheitert ist und Dutzende von Jugendlichen bis aufs Blut gequält hat. Es wird Zeit, dass da was anderes dazukommt. Wir werden das gesamte Projekt stoppen, bevor sie neuen Immunen dasselbe antun wie uns.«
»Wir? Was willst du damit sagen, hermano ?«, warf Jorge ein.
Als Thomas den Blick auf den Älteren richtete, verfestigte sich sein Entschluss. »Wir müssen mit dem Rechten Arm zusammenarbeiten.«
Keiner sagte etwas.
»Einverstanden«, meinte Minho schließlich. »Aber erst müssen wir etwas essen.«
Sie gingen zu einem Café in der Nähe, das Hans und seine Frau empfohlen hatten.
Thomas war noch nie in einem solchen Lokal gewesen, zumindest nicht, soweit er sich erinnern konnte. Die Kunden standen am Tresen an und bestellten Kaffee und Backwaren, womit sie sich dann an einen Tisch setzten oder wieder zur Tür hinausgingen. Er beobachtete eine ältere Frau, die nervös ihren Mundschutz anhob, um an ihrem Heißgetränk zu nippen. An der Tür stand einer
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