03 Die Auserwählten - In der Todeszone
in einen bläulich-weißen Lichtkegel getaucht, der sie nach der kompletten Finsternis zuvor blendete wie grelles Sonnenlicht. Thomas kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, überkam ihn das Grauen. Zehn Meter vor ihnen waren mindestens dreißig Menschen aus dem Nichts aufgetaucht, standen dicht beisammen und blockierten die Straße.
Ihre Gesichter war bleich und eingefallen, zerkratzt und blutunterlaufen. Verdreckte Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Körper. Alle standen da und starrten in die grellen Scheinwerfer, als mache es ihnen nicht das Geringste aus. Sie sahen aus wie lebende Leichen – von den Toten Auferstandene.
Ein eisiger Schauder ließ Thomas zittern.
Die grässliche Horde teilte sich. Sie bewegten sich im Gleichschritt, machten einen breiten Zwischenraum in der Mitte frei und drückten sich an die Mauern. Einer winkte mit dem Arm, dass der Transporter durchfahren könne.
»Das sind aber mal höfliche Cranks«, flüsterte Lawrence.
»Vielleicht sind sie ja noch nicht total hinüber?«, meinte Thomas, auch wenn diese Idee ihm selbst lächerlich vorkam. »Oder sie haben gerade keine Lust, sich von einem großen Transporter überfahren zu lassen?«
»Egal. Drück auf die Tube«, rief Brenda. »Bevor sie sich’s anders überlegen!«
Thomas war ungemein erleichtert, als Lawrence genau das tat; der Transporter schoss zwischen den lebenden Leichen hindurch und verlangsamte das Tempo nicht. Die an den Mauern aufgereihten Cranks starrten sie an, als sie vorbeidüsten. Als er sie so aus nächster Nähe sah – die Wunden und blutenden Stellen, die wahnsinnigen Augen –, erschauderte Thomas von neuem.
Sie waren fast an ihnen vorbei, als ein lauter Knall ertönte, und der Transporter nach rechts schlingerte. Er krachte mit der Stoßstange gegen die Wand und zerquetschte zwei Cranks, die dort standen. Sie schrien in Todesqualen auf und trommelten mit blutigen Fäusten vorn auf das Fahrzeug.
»Was zum Geier?«, brüllte Lawrence und warf den Rückwärtsgang ein.
Kreischend setzte der Transporter ein paar Meter zurück, wobei er wie verrückt schwankte. Die beiden Cranks vor ihnen stürzten zu Boden; die umstehenden fielen augenblicklich über sie her. Thomas sah schnell weg, doch ihm war auch so schon vor lauter Grauen schrecklich übel. Von allen Seiten fingen die Cranks an, mit den Fäusten auf den Transporter einzuschlagen. Die Räder drehten durch, bekamen keine Bodenhaftung, der Motor jaulte, das Getriebe heulte – ein Lärm wie aus einem Albtraum.
»Was ist denn?«, schrie Brenda panisch.
»Sie haben irgendwas mit den Reifen angestellt! Oder der Aufhängung! Irgendwas!«
Lawrence schaltete immer wieder vom Rückwärts- in den Vorwärtsgang, aber jedes Mal kamen sie nur ein paar Zentimeter weit. Eine Frau mit zerzausten langen Haaren trat an das Fenster rechts neben Thomas. Hoch erhoben in den Händen hielt sie eine große Schaufel, und er sah hilflos zu, wie sie ausholte und das Metallblatt gegen die Scheibe donnern ließ. Das Glas hielt.
»Wir müssen hier weg!«, rief Thomas. Er fühlte sich so ausgeliefert und wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Es war dumm gewesen, in solch eine offensichtliche Falle zu tappen.
Lawrence schaltete hektisch, gab immer wieder Gas, aber der Transporter machte bloß kurze Sätze vor und zurück. Von oben erklang eine Serie bekannter, dumpfer Schläge. Jemand war auf dem Dach. Jetzt attackierten die Cranks sämtliche Fenster – ob mit hölzernen Knüppeln oder ihrem eigenen Kopf. Die Frau vor Thomas’ Fenster gab nicht auf und ließ ihre Schaufel immer wieder gegen das Glas krachen. Als sie das fünf- oder sechsmal getan hatte, erschien ein haarfeiner Riss in der Scheibe.
Thomas schnürte es die Kehle vor anwachsender Panik zu. »Gleich ist die Scheibe durch!«
»Bring uns hier raus!«, schrie Brenda im gleichen Augenblick.
Der Transporter bewegte sich ein paar Zentimeter voran, gerade genug, dass die Frau beim nächsten Schlag das Fenster verfehlte. Doch von oben schlug jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Windschutzscheibe, und ein riesiges Spinnengewebe aus Rissen überzog das Glas.
Wieder machte der Wagen einen Satz nach hinten. Der Mann mit dem Vorschlaghammer rollte hinunter auf die Kühlerhaube, bevor er die Scheibe noch einmal treffen konnte, und landete auf der Straße. Ein Crank mit einer langen Schnittwunde auf dem kahlen Schädel riss dem Mann das Werkzeug aus der Hand und schlug noch zweimal zu, bevor eine
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