03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
lange sie bleiben wollte.
Mein Herz setzte für eine Sekunde aus, als Ezira meinte: „Ich nehme an, dass du dir mit Tochter Choga eine Hütte teilen möchtest.“
„Selbstverständlich“, bestätigte die queen. Dazu musste Tanisha ihre frühere Hütte wieder beziehen. Mein Sohn durfte sie und Faraa begleiten, worüber sich alle angesichts der neuen Entwicklung sogar freuten.
Innerlich schrie ich auf. Wenn ich mit der obersten „Königin“ meines Vaters zusammenlebte, durfte ich davon ausgehen, mich voll und ganz unterordnen zu müssen. Ich sollte werden, was ich vor langer Zeit gewesen war - eine Haremstochter. Pattys Wort war im Harem Gesetz gewesen. Sie befand sich zwar nun in Eziras Reich. Doch meine Lehrerin hatte mich der
„Königin“ unterstellt, indem sie ihr meine Hütte anwies. Dadurch galten für mich automatisch die Regeln meiner Kindheit. Was auch immer Patty verlangte, ich hatte es von jetzt an ohne Widerspruch zu tun.
Ich wagte nicht, laut zu protestieren; denn die Regeln verlangten meinen bedingungslosen Gehorsam. Auch Ezira musste sich so verhalten, da die Gesetze des Respekts gegenüber Älteren es forderten. Sie wogen wesentlich schwerer als das Befinden einer jungen Frau wie mir. Ich hatte mich unterzuordnen. Oder ich musste gehen. Und zwar sofort! Ich war fest entschlossen, auszuhalten. Denn da war ja auch noch Ezira, die meine Vergangenheit kannte und auf deren Unterstützung ich vertraute.
Für mich war Vaters einstige queen die Frau, die sich im Harem durch ihre schöne Singstimme hervortat und
uns gelegentlich als Musiklehrerin unterrichtete. Sie schien über uns zu schweben wie eine wahre Königin. Ihr unvermittelt so nahe zu sein wie nicht einmal in meiner Kindheit, verwirrte mich. Denn mich quälten plötzlich Fragen, auf die ich keine Antworten kannte. Meine Vergangenheit, der ich glaubte mit dem Leben auf der Farm entkommen zu sein, hatte mich eingeholt.
Ich verbrachte eine schlaflose Nacht, in der mir Pattys Worte nicht aus dem Kopf gingen: Wäre ich ein Junge geworden, so würde der Harem auch heute noch bestehen und ich wäre der Nachfolger meines Vaters. Denn als besondere Tochter war ich die Erbin seiner Gedanken.
Was meinte sie damit? Hatte ich das falsche Geschlecht? Warf sie mir damit etwas vor, woran ich nichts ändern konnte? Worunter ich durch Felix' Misshandlungen sogar gelitten hatte?
Nein, ich würde vor Patty nicht weglaufen! Ganz gewiss nicht! Sie musste mir Rede und Antwort stehen! Aber sie lag nur laut schnarchend dort, wo Josh sonst schlief..
Das Los der Töchter
Im ersten Morgengrauen floh ich regelrecht in die Kräuterküche. Es war mir ein echtes Bedürfnis, mich als Heilerin zu betätigen. Ich wollte mich nicht als Haremstochter fühlen. Mit wahrer Leidenschaft zerstampfte ich Beeren im Mörser und zerrieb Blätter. Ich war längst nicht fertig, als Tanisha in die Kräuterküche trat.
Damit sie sich schulen konnte, bereitete Tanisha sonst frühmorgens den Tee. „Willst du das heute lieber machen?“, fragte sie. Ich hörte ihre leichte Enttäuschung.
„Ja“, gab ich einsilbig zurück. Wegen des entgangenen Schlafs hatte ich rasende Kopfschmerzen.
„Du hast schlechte Laune“, stellte Tanisha fest. „Liegt es an der Frau aus Lagos?“ Ich knurrte eine unverständliche Antwort. „Freust du dich denn nicht, jemanden aus dem Harem wieder zu sehen? Sie gehört doch zu deiner Familie, oder nicht?“
„Das ist nicht so einfach zu sagen“, gab ich zu. „Für dich besteht eine Familie aus Vater, Mutter, Kindern, Großeltern, Onkeln und Tanten. Eben Menschen, die direkt miteinander verwandt sind. Aber Patty ist in diesem Sinn keine Verwandte. Auch wenn alle sie immer Mama gerufen haben, so betonte das nur ihre Bedeutung. Nicht aber die Liebe, die einer Mutter entgegengebracht wird.“ Ich rieb meine schmerzenden Schläfen. „Genau genommen waren wir keine Familie“, sagte ich, „sondern eine Lebensgemeinschaft.“ Ich trat einen Schritt zur Seite, damit wir gemeinsam arbeiten konnten.
„Und dein Vater? Wie hast du für ihn empfunden?“, fragte Tanisha. Sie begann damit, Baumrinde zu raspeln.
„Ich war stolz auf ihn. Wie wir alle. Aber du willst wissen, ob ich ihn liebte?“ Sie nickte, und ich dachte nach, was ich für Papa David wirklich empfunden hatte. Was ich tatsächlich hinter diesem beeindruckenden Mann gesehen hatte. Ich musste mir eingestehen, dass er niemals wirklich in meinem Herzen gewohnt hat. „Mein Vater schwebte über
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