03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
Haremskönigin. Nachdem ich mich mühsam erhoben hatte, teilte sie mir mit: „Wir haben uns verlaufen.“ Sie warf einen abschätzigen Blick auf ihre Begleiterin, ein höchstens zehnjähriges Mädchen, das Pattys Gepäck auf dem Kopf trug.
Ihr Taxi hatte die alte Dame irrtümlich nicht bis zu jener Siedlung gefahren, in der sich das Krankenhaus befand, sondern sie im Dorf davor abgesetzt. Die beiden hatten somit eine ziemlich lange Odyssee hinter sich.
Es glich einem Wunder, dass sie im Labyrinth des Dschungels nicht völlig verloren gegangen waren. Patty gab dem Kind eine Münze und schickte es zurück.
Die Königin des Harems lief vor mir her zum Compound. Ich folgte, ihr schweres Gepäckbündel auf dem Kopf, meinen eigenen Beutel mit den gesammelten Kräutern auf dem Rücken. Ich atmete Pattys süßes, schweres Parfüm ein, das ich aus dem Harem so gut kannte. Trotz ihres Alters ging Mama Patty recht schnell.
„Wie hast du mich hier gefunden?“, keuchte ich weniger aus wahrem Interesse. Vielmehr wollte ich die stolz einherschreitende Königin darauf aufmerksam machen, wie mühsam ich vorwärts kam.
„Es war wirklich nicht leicht, dich ausfindig zu machen“, sagte die alte Frau. „Aber schließlich gab mir jemand die Telefonnummer deiner Farm und ich sprach mit Amara. Sie teilte mir mit, wo ich dich finden konnte.“
Jeder Schritt schmerzte mich, der Schweiß rann mir übers Gesicht. Und Patty strebte forsch voran. Was wollte sie hier? Warum brach sie in mein Leben ein? Sie benahm sich wie eine Königin, der Urwald war gewiss nicht der angemessene Platz für sie. „Warum wolltest du ausgerechnet zu mir?“, rief ich ihr nach. Schließlich ging ich davon aus, sie stände mir ebenso wenig nahe wie umgekehrt.
Endlich blieb Patty stehen und bemerkte, dass ich hinter ihr ziemlich zurückgefallen war. Als ich sie erreicht hatte, richtete sie sich auf und blickte mich, ihre Lastenträgerin, bedeutungsvoll an.
„Du warst immer die ganz besondere Tochter deines Vaters“, sagte Mama Patty dramatisch. „Wärst du ein Junge geworden, dann würde die Familie
auch heute noch bestehen.“ Patty meinte die Familie des Schwarzen Jesus,
jene Kirche, die mein Vater gegründet hatte.
„Wieso?“, fragte ich verblüfft.
„Als Junge wärst selbstverständlich du Papa Davids Nachfolger geworden“, erklärte Patty.
Diese Einschätzung musste ich erst mal verdauen: Mein Vater hatte über 100 Kinder! Wie viele Söhne darunter waren, habe ich nie erfahren. Aber es wäre doch gewiss einer dabei gewesen, den er für würdig genug erachtet hätte! Wieso war gerade ich so besonders?
Meine Gedanken überschlugen sich. Als Mann wäre ich demnach Herrscher eines Harems geworden? Anstelle von Felix?
Benommen humpelte ich hinter Patty her und glaubte jeden Augenblick zusammenzubrechen. Nicht unter der Last ihres Gepäcks, sondern unter der Wucht ihrer
Worte. Denn sie machten klar: Ich kannte meinen Vater nicht wirklich.
Ich konnte nicht sagen, wie lange wir gebraucht hatten, um endlich im
Compound einzutreffen. Für mich schienen Stunden vergangen zu sein! Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Sobald ich die erste Hütte erreicht hatte, lehnte ich mich schwer atmend dagegen. Glücklicherweise hatte Tanisha unser Eintreffen bemerkt und eilte herbei, um mir meine Last vom Kopf zu nehmen.
„Choga, du sollst doch nicht so schwer tragen!“, rief sie voller Mitgefühl.
„Wen hast du mitgebracht?“
„Das ist Mama Patty“, stieß ich hervor. „Die älteste Frau meines Vaters.“
„Aus dem Harem?“, flüsterte Tanisha ergriffen. Meine Antwort war nur noch ein stummes Kopfnicken.
„Dann hole ich am besten schnell Ezira!“, sagte meine Freundin und eilte los.
Mama Patty blickte sich mit hochgezogenen Augenbrauen um. Tanisha hatte sie kaum wahrgenommen. „Hier lebst du also“, stellte die Königin fest. Sie strebte zum Kochhaus und setzte sich auf einen der Hocker.
Schwerfällig humpelnd folgte ich ihr. Tanishas Rufe hatten alle Mädchen alarmiert, neugierig strömten sie zusammen. Ezira war in ihrem Häuschen gewesen, das am anderen Ende des großen Feuerplatzes lag. Klein und zierlich kam sie festen Schritts herüber zum Kochhaus. Die Schülerinnen folgten ihr, was ihrem Auftritt eine große Würde verlieh. Ich ging ihr entgegen. Noch bevor wir uns erreicht hatten, trafen sich unsere Blicke.
Ezira kannte mich sehr gut, und wenn es mir schlecht ging, sah sie es mir sofort an. Sie breitete die Arme
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