03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
einer verzwickten Situation befreit hatte. Sie machte Josh obendrein eine unvorstellbare Freude. Ich half ihr, Faraa vom Rücken zu binden, und sie zeigte Josh, wie er das knapp sechs Monate alte Mädchen richtig tragen konnte. Er warf mir einen vor Glück strahlenden Blick zu und lief zu den Mädchen, die sich in der Nähe der beiden alten Frauen aufhielten.
Nun ging ich die wenigen Schritte hinüber zu Ezira und Patty. Ich brannte darauf, endlich zu erfahren, was der wahre Grund ihres Besuchs war. Die beiden würdevollen Frauen hatten noch kein richtiges Gespräch begonnen, und ich hatte den Eindruck, dass Ezira warten wollte, bis ich mich zu ihnen gesellt hatte. Eines der Mädchen brachte frischen Tee, und Ezira bat sie und die anderen, wieder ihre Arbeit aufzunehmen, Pflanzen zu sortieren.
„Setz dich zu uns, Tochter Choga“, lud mich Ezira ein.
„Mama Patty, wie geht es dem Harem? Sind deine Mitfrauen gesund?“, fragte ich. Patty und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Felicitas waren mit neun Frauen und vier fast heiratsfähigen Töchtern meines Vaters im Harem zurückgeblieben. Meines Wissens nach war keine von ihnen HIV-positiv.
Kaum dass ich meine höflich gemeinte Frage gestellt hatte, stimmte Mama Patty großes Wehklagen an: „Es ist so schlimm. Alles ist abgebrannt. Viele Menschen sind tot. So viele. Ich habe noch nie so etwas Grauenvolles gesehen.“ Entmutigt schüttelte sie den Kopf. Tränen erstickten ihre Worte.
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach!
Die einstige Königin des Harems berichtete stockend: Es war an einem Sonntagabend Ende Januar gewesen. Ein Munitionsdepot, mitten im Wohngebiet gelegen und dennoch eines der größten des ganzen Landes, war explodiert. Die Druckwelle zerstörte unzählige Häuser. In der Folge kam es zu einer Reihe weiterer kleinerer Explosionen, überall brachen Brände aus. Patty berichtete unter Tränen von Leichen, die sich stapelten und in einem angrenzenden Kanal schwammen. Sie sagte, es seien tausend Menschen umgekommen. Verwundete Menschen irrten umher, stolperten über Tote.
Vaters Compound war nicht weit vom Waffenlager entfernt gewesen. Die große Anlage, die Welt meiner Kindheit, war völlig verwüstet, die dünnen Wände der einfachen Steinhäuser von der gewaltigen Explosion hinweggefegt worden. Die alten Lehmhütten zerfielen wie nichts.
„Ich fand meine Schwester Felicitas in der Nähe ihres Hauses. Sie starb in meinen Armen“, berichtete Mama Patty stockend und unter Tränen.
Felicitas war Vaters zweite Frau gewesen, die er etwa 1950 geheiratet hatte.
Im Harem hatte Felicitas die Aufgaben einer
Hebamme gehabt; sie hatte auch mich auf diese Welt geholt.
„Der Compound ist für alle Zeiten ausgelöscht. Ein Raub der Flammen und von allem Bösen dieser Welt“, klagte Patty, die durch Zufall entkommen war. Dass sie an diesem unbewohnbaren Ort nicht bleiben wollte, leuchtete durchaus ein. Allerdings verstand ich ihren Entschluss, ausgerechnet mich aufzusuchen, überhaupt nicht.
Ich starrte in das faltige Gesicht, sah die scharf geschnittenen Lippen, über die nun Worte kamen, die immer weniger Sinn machten: „Ich habe Mama Lisa stets sehr geachtet. Deine Mutter hatte mir deine Entscheidung, Felix zu verlassen, erklärt. Ich war nicht ihrer Meinung. Eine christliche Frau darf nicht aus der Ehe davonlaufen. „
Ich blickte zu Ezira und erhoffte mir ihren Beistand. Doch deren Gesicht verriet kein Gefühl, sie hörte nur zu. Während ich am liebsten aus der Haut gefahren wäre! Warum war Patty gekommen, wenn sie so über mich dachte?
„Aber ich habe meine Meinung über dich geändert“, fuhr Patty unbeirrt fort. „Nachdem dein Mann gestorben war, hast du zu deiner Verantwortung gestanden und viele deiner Mitfrauen mitgenommen, um für sie zu sorgen. Ich sagte damals zu Mama Felicitas: Schade, dass Mama Lisa das nicht mehr erlebt hat. Tochter Choga ist wirklich Papa Davids besondere Tochter. Die wahre Erbin seines Gedankens.“
Es hatte wohl jenseits von Pattys Vorstellungskraft gelegen, was sie bei uns erwartete: die Entsagungen eines Lebens in der Natur statt die Bequemlichkeit der Großstadt; Naturreligion statt Christentum.
Ezira brach ihr langes Schweigen: „Du bist uns willkommen, Mama Patty.
Ich danke dir für das Vertrauen,
das du uns entgegenbringst.“ Obwohl ich Patty nie als meine Ziehmutter angesehen hatte, war sie es dennoch nach den Regeln meines Landes. Es wäre niemandem in den Sinn gekommen, sie zu fragen, wie
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