03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
aus und drückte mich an sich.
„Ich habe Patty mitten im Wald getroffen. Ist das nicht unglaublich? Sie war die Königin unseres Harems!“, stieß ich immer noch außer Atem und völlig überwältigt hervor.
„Königin.“ Mehr als dieses eine Wort sagte Ezira nicht. Und ich konnte keine Wertung darin hören.
Umringt von den Mädchen, gingen wir zu Mama Patty, die sich erhob. Sie und Ezira waren sich nie zuvor begegnet. Beide Frauen waren von Stellung und Alter her gleichrangig und gewohnt, dass man ihnen mit Ehrfurcht begegnete und auf ihr Wort hörte. Patty jedoch kam als Gast. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie jemals vor jemandem den Kopf gebeugt hätte.
Die Gebieterin des Harems strich ihre weißen Tücher glatt und richtete sich auf. Sie war eine schwere Frau, fast zwei Köpfe größer als Ezira. Meine alte Lehrerin blieb wenige Schritte vor Patty stehen und tat gar nichts. Nicht ein Muskel ihres narbigen Gesichts zuckte. Ganz langsam sank die Haremskönigin auf die Knie und neigte den Kopf zur Erde.
Meine Lehrerin lehrte uns zwar Demut und Respekt, aber eine Unterwerfungsgeste, wie Patty sie formvollendet bot und auch selbst gewohnt war, lehnte sie ab. Sie widersprach ihrer Überzeugung vom gleichwertigen Miteinander aller Menschen. In Pattys Fall akzeptierte sie es überraschenderweise.
Erst danach sagte Ezira: „Mama Patty, du bist uns allen herzlich willkommen.“
Patty erhob sich. „Vielen Dank für deine Gastfreundschaft“, sagte sie.
Ich rief Josh heran, um ihn dieser einst so einflussreichen Frau vorzustellen. Er war verlegen und kam scheu näher. Eigentlich hätte er sich niederwerfen müssen, doch das hatten wir nie geübt. Meine Mutter hatte auf der Farm auf europäische Höflichkeit Wert gelegt und so hatte ich auch meinen Sohn erzogen. Folglich streckte er
der einstigen Königin die Hand entgegen und neigte brav den Kopf. Mama Patty stutzte.
„Josh respektiert dich. Ich bitte dich um Nachsicht, dass er dich nicht gebührend begrüßt“, erklärte ich.
Die Besucherin ignorierte die ihr immer noch dargebotene Rechte. Ihre Hand glitt stattdessen unter das Kinn meines Sohnes, der es verdutzt geschehen ließ.
„Du hast große Ähnlichkeit mit deinem Großvater.“ Sie drehte seinen Kopf nicht gerade sanft hin und her. „Hat deine Mutter dir gesagt, dass Papa David für uns alle ein großes Vorbild ist?“
Josh schickte einen um Hilfe flehenden Blick in meine Richtung. Er verstand diese Anspielung nicht: Es musste Jahre zurückliegen, dass ich mit ihm über meinen Vater gesprochen hatte. In unserem Farmleben hatte die Vergangenheit keine Rolle gespielt, hatte uns doch die Gegenwart genug beschäftigt. Ezira rettete die Situation und verwickelte Mama Patty in ein Gespräch über deren lange Reise.
„Mama, wer ist das?“, fragte Josh mich leise.
Als Josh drei Jahre zuvor ein einziges Mal seine Oma Lisa im Harem besucht hatte, war er viel zu klein gewesen, um verstehen zu können, wo er sich aufgehalten hatte. Ich beschränkte mich auf das, was er wissen wollte:
„Patty war ebenso wie deine Oma Lisa, Bisi und Ada mit deinem Großvater verheiratet. Denn Papa David war ein bedeutender Mann. Du hast ihn nie getroffen. Er ist vor deiner Geburt gestorben.“
„Sehe ich aus wie Papa David?“
Ich betrachtete mein Kind mit den Augen der alten queen und musste ihr zustimmen. „Ja, ich glaube schon, Josh, dass du mit deinem Großvater Ähnlichkeit hast. Aber es ist furchtbar lange her, dass ich ihn gesehen habe.“
Mein Vater hatte damals aufgebahrt auf dem Sterbe-bett geruht. An seiner Beerdigung hatte ich nicht mehr teilgenommen.
Meinem Sohn konnte ich all dies nicht erklären, denn ich hätte ihm die Gründe für meine Flucht nennen und damit von seinem eigenen Vater sprechen müssen. Aber an diesem Punkt begann jener Teil meiner Erinnerung, vor der ich Josh bislang beschützt hatte. Ich bekam Angst, dass mir das wegen Pattys Anwesenheit nicht weiterhin gelingen könnte.
Ich würde mit ihr viel Zeit verbringen müssen. Mein Sohn würde zuhören und Fragen stellen. Die schützende Mauer des Schweigens würde zusammenbrechen ..
Tanisha kam zu uns. „Josh“, sagte sie, „du hast mich doch gefragt, ob ich dir mal wieder Faraa gebe. Magst du sie jetzt nehmen?“
„Darf ich wirklich?“ Er warf sich dankbar in Tanishas Arme. Sie lächelte mich so warmherzig an, dass ich hätte weinen können. Sie war eine echte Freundin! Nicht nur, dass sie mich für den Moment aus
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