03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
nicht mehr mein Vater das Sagen hatte, sondern sein Nachfolger Felix. Als er diejenigen geheiratet hatte, die mein Leben nun mit mir teilten, war ich schon lange fort gewesen.
Die dünnen Wände gaben die Worte meiner Gefährtinnen wieder. Meine
Schwestern, wie wir uns vertraut nannten, sprachen über mich.
Aufmerksam geworden, richtete ich mich auf.
„Hast du's schon gehört, Lape? Schwester Choga wird uns verlassen!“
„Woher weißt du das, Charity?“
Ein unterdrücktes Kichern folgte, dann antwortete Charity: „Man muss seine Ohren überall haben. Sonst erfährt man nie was.“
„Ich glaube dir kein Wort. Choga würde uns Bescheid sagen!“
„Die ist doch so mit sich selbst beschäftigt. Die kann ohnehin keiner von uns helfen. Nicht mal sich selbst. Sieh sie dir doch nur an! Efes Tod hätte sie verhindern müssen! Sie hat nicht mal gemerkt, dass Efe eine Lungenentzündung hatte.“
„Amara war noch nicht da, Charity. Und Josh so krank. Und obendrein das Heilhaus zerstört.“
„Efe helfen deine Sprüche auch nicht mehr, Lape! Vor zwei Tagen haben wir sie begraben. Wollen wir warten, wer die Nächste ist?“
„Charity, halt dein Schandmaul! Ohne Choga wäre keine von uns überhaupt hier.“
„Und wenn sie nicht mehr ist? Was ist dann?“
„So darfst du nicht einmal denken! Choga ist stark. Sie wird sich erholen!“
„Und wenn nicht, Lape? Wir wissen nicht einmal, wie lange Amara bleiben wird. Dann stehen wir ganz schön dumm da. Mitten im Nichts. Mit Nachbarn, die uns hassen.“
„Die Muslime hätten uns in Ruhe gelassen, wenn Choga nicht Tanisha bei uns versteckt hätte. Dadurch hat sie uns alle in Gefahr gebracht.“
„Das war unsere gemeinsame Entscheidung, Charity!“, erklang nun Bisis Stimme.
„Deine vielleicht, Mama Bisi. Und die von Ada und Choga. Uns habt ihr nicht wirklich gefragt!“
Energische Schritte kamen eilig näher. „Sprecht nicht so laut. Choga braucht Ruhe. Wer jetzt durchdreht, verrät unsere Gemeinschaft. Wir sind hier, weil wir uns Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung geschworen haben. Choga hat für euch alles getan, jetzt seid gefälligst ihr mal dran. Und nun ist Schluss. Draußen wartet genug Arbeit!“
Die Versammlung löste sich murrend auf.
„Danke für dein Machtwort, Ada. Ich kann die jungen Frauen nicht im Zaum halten.“
„Weil du selbst so viel Angst hast, Bisi.“
„Du etwa nicht?“
Adas Antwort war für sie bezeichnend: „Ich muss mich um die Frauen kümmern und dafür sorgen, dass
die Arbeit sie ablenkt.“ Ihre festen Schritte entfernten sich.
In meiner Kindheit hatte ich einmal erlebt, wie nachts überraschend der Frost gekommen war. Am nächsten Morgen hatten die Blüten der Wunderblume am Boden gelegen. Ich hatte um die verlorene Pracht geweint.
Das belauschte Gespräch klang fast so, als ob ich für meine Gemeinschaft dieselbe Gefahr darstellte wie die Kälte für eine empfindliche Pflanze ..
Tanisha
Mama Bisi kam auf Zehenspitzen ins Zimmer. Als sie mich im Bett sitzen sah, rang sie die Hände vor der Brust. „Ach, ich hab's doch geahnt! Diese Hühner haben dich aufgeweckt. Du hast das alles mitgehört, nicht wahr?“
Sie nötigte mich mit sanftem Druck dazu, mich hinzulegen. „Nimm das nicht ernst. Sie reden Unsinn.“
„Ich habe alles falsch gemacht“, klagte ich mich selbst an. „Dabei habe ich es doch mit Tanisha nur gut gemeint.
Meine Lieblingsmama legte die Stirn besorgt in Falten. „Warum willst du denn alles auf deine Schultern laden, Kind? Du konntest doch nicht ahnen, wie alles kommen würde. Was wussten wir denn schon von den Gesetzen des Islam? Wir sind Christen und handeln nach dem Gebot der Nächstenliebe. Nichts anderes hast du getan.“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Was rede ich denn da? Ich meine nicht nur dich! Wir alle haben Tanisha beschützt. Und das war richtig! Welcher Mensch mit einem Herzen im Leib würde eine junge Frau nicht verstecken, die mit 180
Stockhieben bestraft werden soll?“
Doch genau das verlangte die strenge Auslegung der Gesetze des Islam!
Denn Tanisha hatte ein uneheliches Kind unter dem Herzen getragen. Ihr Bruder, der in Jeba lebte, hatte sie zu mir gebracht, damit ich sie entbinden konnte. Niemand aus unserer Gemeinschaft hatte von der Bedrohung gewusst, vor der die 20-Jährige aus ihrem Elternhaus entflohen war.
Doch als wir es erfahren hatten, weigerten wir uns, die junge Mutter und ihr Kind auszuliefern. Unsere selbstlose Hilfe war schwer
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