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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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nicht sein! Dein schlimmster Alptraum war
    die Krim. Das weiß ich genau. Ich habe dein Bewusstsein
    durchsucht.«
    »Dann hätten Sie eben genauer nachsehen müssen!« sagte ich
    und spürte, wie mein Selbstvertrauen im selben Maße zurückkehrte, wie das meiner Widersacherin schwand.
    »Das nützt dir auch nichts mehr!« sagte sie unsicher. »Es
    wird uns nicht stören. Es wird gar nicht hereinkommen.«
    Man hörte ein weiteres lautes Krachen. Die Stahltür im Erd-geschoss flog aus den Angeln.
    »Sie haben sich schon wieder geirrt«, sagte ich leise. »Das war
    die Tür. Sie haben nach meinem schlimmsten Alptraum gerufen – jetzt ist er gekommen.«
    Sie lief zur Treppe und schrie: »Wer ist da? Wer bist du? Was
    bist du?«
    Aber es kam keine Antwort. Man hörte nur ein leises Seufzen
    und Schritte, die langsam die Treppe heraufkamen. Ich warf
    einen Blick aus dem Fenster und sah ein weiteres Stück unseres
    felsigen Eilands wegbrechen. Der Leuchtturm stand jetzt ganz
    nahe am Abgrund, und ich konnte direkt in die schaurige Tiefe
    hinabsehen. Man spürte das Zittern der Fundamente, und ein
    großes Stück Putz fiel von der Decke.
    »Thursday!« schrie meine Feindin. »Du kannst es doch kontrollieren! Mach, dass es nicht raufkommt!« Sie schlug die Tür
    zum Treppenhaus zu und drehte mit fliegenden Händen den
    Schlüssel im Schloss.
    »Ich könnte es verstecken, wenn ich wollte«, sagte ich langsam und musterte die zitternde Frau. »Aber ich glaube, das
    möchte ich gar nicht. Sie haben mich aufgefordert, meine
    schlimmsten Ängste ins Auge zu fassen – jetzt haben Sie Gelegenheit, mir Gesellschaft zu leisten.«
    Wieder ging ein Ruck durch den Leuchtturm. Es entstand ein
    Riss in der Wand, und die Fensterscheiben zersprangen. Das
    Heulen des Sturms wurde lauter. Metall knirschte, die Elektromotoren verstummten, und die Lampe hörte auf, sich zu drehen. Dann krachte etwas an die Tür.
    »Es gibt immer noch einen größeren Fisch«, sagte ich zu Aornis. Meine Vergangenheit löste sich aus dem Nebel, und mir
    fiel wieder ein, wer sie war. »Sie sind genauso faul wie alle
    anderen Mitglieder der Familie Hades. Sie dachten, der Tod
    meines Bruders wäre das Schlimmste, was ich erlebt habe. In
    meinem Unbewussten haben Sie fast überhaupt nicht gesucht.
    Die alten Kinderängste, die uns heimsuchen, wenn wir noch
    klein sind. Die Alpträume, von denen wir nichts mehr wissen,
    wenn wir am Morgen aufwachen. Wir können diese Schrecken
    verdrängen, aber sie lauern im Untergrund unserer Seele und
    warten auf ihre Stunde.«
    Der Leuchtturm schwankte, die Tür brach auf, und ein Teil
    der Mauer fiel in die Tiefe. Der Sturm fegte eiskalte Nachtluft
    herein, ein Teil der Decke senkte sich auf uns herunter, und
    Funken sprühten aus den zerrissenen Kabeln. Aornis starrte wie
    gelähmt auf die dunkle Gestalt, die am Eingang hockte und
    lüstern schmatzte.
    »Nein!« sagte sie wimmernd. »Es tut mir so leid! Ich hab dich
    nicht aufwecken wollen, geh wieder schlafen, ich –«
    Ihr Haar wurde von einer Sekunde auf die andere schlohweiß, aber ihrer Brust entrang sich kein Schrei. Ich senkte den
    Blick und wandte mich unmerklich zur Tür. Aus dem Augenwinkel konnte ich die unbestimmte Gestalt sehen, die langsam
    auf meine Widersacherin zukroch. Aornis war auf die Knie
    gefallen und schluchzte unkontrollierbar.
    Ich ging durch die zerschmetterte Tür und die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal. Als ich aus der unteren Tür
    trat, zitterten die Felsen erneut, und die kegelförmige Spitze des
    Leuchtturms brach ab. Mauerwerk und rostige Eisenteile fielen
    herab. Jetzt endlich hatte Aornis auch ihre Stimme wiedergefunden und schrie.
    Ich ließ mich davon nicht aufhalten. Ich hörte sie noch immer um Gnade betteln, als ich in das kleine Ruderboot stieg, das
    sie hinter einem Felsen versteckt hatte, um darin zu flüchten.
    Ich ruderte über das ölige, schwarze Wasser. Die Schreie von
    Hades' Schwester waren noch immer zu hören und endeten
    erst, als der ganze Leuchtturm einstürzte und ihren üblen Geist
    in den Abgrund mitnahm.
    Ich hielt einen Augenblick inne, als die Insel verschwand,
    dann legte ich mich in die Riemen.
    »Sehr eindrucksvoll!« sagte hinter mir eine Stimme. Ich
    drehte mich um und sah Landen im Bug sitzen. Er war genau
    so, wie ich ihn kannte. Hochgewachsen und gutaussehend, mit
    einem Anflug von Grau an den Schläfen. Meine Erinnerungen,
    die so lange getrübt und verfälscht worden waren, kehrten

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