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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Wir
    befanden uns am Rand eines riesigen Wasserfalls, der sich auf
    beiden Seiten in die Dunkelheit erstreckte. Der Ozean stürzte
    über die Kante und fiel in die Tiefe. Aber das war noch nicht
    alles. Beim nächsten Blitz musste ich feststellen, dass sich der
    Wasserfall immer näher an den Leuchtturm heranfraß. Ich sah,
    wie ein Stück Felsen nach dem anderen von den rasenden
    Wassermassen erfasst wurde und lautlos im Abgrund verschwand.
    »Was ist das?« fragte ich. »Was geschieht da?«
    »Du vergisst alles«, sagte sie einfach.
    Sie machte eine Handbewegung in Richtung des Zimmers.
    »Das sinddie letzten Überreste deines Bewusstseins. Die letzte
    Bastion, sozusagen. Der Sturm, der Leuchtturm, der Wasserfall,
    die Nacht, der Wind – das alles ist nicht real.« Sie trat näher an
    mich heran, und ich roch ihr Parfüm. »Das alles sind nur Vorstellungen deines Bewusstseins. Der Leuchtturm bist du, er ist
    dein Bewusstsein. Das Meer um uns herum, das sind deine
    Erinnerungen, deine Erlebnisse, das ist alles, was dich zu der
    Person macht, die du bist. Und jetzt verschwindet das alles im
    Abfluss, du läufst einfach aus wie das Badewasser aus einer
    Wanne. Bald stürzt der Leuchtturm mit dir ins Wasser, und
    dann hinunter ins Nichts, und dann...«
    »Und dann?«
    »… dann habe ich endlich gewonnen. Du wirst dich an gar
    nichts erinnern, nicht einmal an das hier. Natürlich kannst du
    wieder lernen – in zehn Jahren bist du dann vielleicht so weit,
    dass du dir wieder selbst die Schuhe zubinden kannst. Aber in
    den ersten Jahren kannst du allenfalls entscheiden, ob du aus
    dem rechten oder aus dem linken Mundwinkel sabbern willst.«
    Ich wandte mich um, aber sie rief mich zurück. »Du kannst
    nicht davonlaufen. Wo willst du denn hin? Für dich gibt es
    nichts außer dem Hier und Jetzt.«
    Ich blieb stehen, drehte mich um, hob meine Pistole und feuerte einen Schuss auf die junge Frau ab. Die Kugel ging durch
    sie hindurch und bohrte sich wirkungslos in die Wand.
    »Das reicht nicht, Thursday. So kommst du nicht weiter.«
    »Thursday? Ist das mein Name?«
    »Das ist egal. Du kannst dich an niemand erinnern, der dir
    helfen könnte.«
    »Macht das Ihren Sieg nicht irgendwie schal?« fragte ich und
    rieb mir die Schläfe. Vergeblich versuchte ich mich an irgendwas zu erinnern.
    »Das aus deinem Kopf zu entfernen, was dir am wertvollsten
    war – das war das Schwerste. Dazu musste ich deine schlimmste
    Erfahrung beschwören, die Erinnerung, vor der du am meisten
    Angst hast. Danach war es einfach.«
    »Meine schlimmste Erfahrung?«
    Wieder lächelte sie und zeigte mir ihren Handspiegel. Er
    zeigte nicht unsere unmittelbare Umgebung, sondern zahllose
    flüchtige Bilder, die rasend darüber weghuschten. Ich griff nach
    dem Spiegel und versuchte herauszufinden, was er mir zeigte.
    »Das sind die Bilder deines Lebens, das sind die Menschen,
    die du liebst, das ist alles, was dir etwas bedeutet, all deine
    Erinnerungen – aber auch das, wovor du am meisten Angst
    hast. Ich kann das alles nach Gutdünken modifizieren oder
    auch ganz einfach löschen. Aber ehe ich das tue, werde ich dir
    das Schlimmste noch einmal zeigen. Schau es dir an, Thursday,
    schau es dir an: Erlebe den Tod deines Bruders noch einmal!«
    Der Spiegel zeigte mir eine längst vergangene Schlacht und
    den Tod eines jungen Soldaten, der mir vage vertraut schien.
    Ich spürte den Schmerz, ihn verloren zu haben.
    Die Bilder wiederholten sich, schärfer und grausamer, und
    die Frau lachte.
    Ich schloss meine Augen, um den Schrecken nicht sehen zu
    müssen, aber ich machte sie rasch wieder auf. Denn ich hatte
    ganz am Rande meines Bewusstseins noch etwas anderes gesehen. Es war bedrohlich und dunkel und wartete nur darauf,
    mich zu verschlingen. Ich keuchte, und meine Angst blieb der
    jungen Frau nicht verborgen.
    »Was gibt's?« fragte sie. »Habe ich was übersehen? Gibt es
    noch was Schlimmeres als die Krim? Lass mal sehen!« Sie griff
    nach dem Spiegel, aber ich ließ ihn fallen. Er zersplitterte auf
    dem Zementboden, und gleichzeitig hörten wir fünf Stockwerke
    unter uns etwas gegen die eiserne Tür krachen.
    »Was war das?« fragte sie.
    Jetzt wurde mir klar, was ich gesehen hatte. Dieses Ungeheuer, das ich so viele Jahre in den hintersten Winkel meines Unbewussten gesperrt hatte, war vielleicht genau das, was ich
    brauchte, um sie zu besiegen.
    »Das«, sagte ich, »ist mein schlimmster Alptraum – und jetzt
    wird es Ihrer!«
    »Das kann doch

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