03_Im Brunnen der Manuskripte
mit
alter Stärke zurück und ließen ihn lebendiger und frischer
erscheinen denn je. Ich ließ die Ruder sinken und hätte beinahe
das Boot zum Kentern gebracht, weil ich es so eilig hatte, die
Arme um ihn zu werfen und seine Wärme zu spüren. Ich umklammerte ihn, bis ich kaum noch atmen konnte und Tränen
mir übers Gesicht liefen.
»Bist du das?« fragte ich. »Bist du das wirklich und keins der
kleinen Spielchen von dieser Aornis?«
»Nein, ich bin's wirklich.« Er küsste mich zärtlich. »Oder
zumindest bin ich das, woran du dich erinnerst.«
»Du wirst aber auch wirklich zurückkommen. Ich verspreche
es dir.«
»Es ist schön, wenn man von der Frau, die man liebt, nicht
vergessen wird«, sagte er. »Hab ich viel verpasst?«
»Na ja«, sagte ich, während wir es uns im Boot gemütlich
machten, »es gibt dieses neue Betriebssystem UltraWord™,
weißt du, und …«
Wir lagen uns in den Armen und schauten zu den Sternen
am Himmel hinauf. Das kleine Ruderboot trieb auf dem friedlichen Meer meiner Seele, und gemeinsam glitten wir langsam
der Morgenröte entgegen.
28.
Lola geht
Daphne Farquitt schrieb ihr erstes Buch im Jahre 1936, und
1988 hatte sie dreihundert weitere geschrieben, die ganz genauso waren wie das erste. The Squire of High Potternews
galt als das am wenigsten schlechte, aber eigentlich war es
genauso grässlich wie alle anderen. Aufmerksame Leser haben sich darüber beklagt, dass Potternews ursprünglich ein
anderes Ende gehabt habe – eine Beobachtung, die auch bei
Jane Eyre gemacht worden ist. Andere Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden Bücher konnten nicht festgestellt werden.
THURSDAY NEXT
– Die Jurisfiktion-Aufzeichnungen
Am nächsten Tag hatte ich einen dicken Kopf, in dem ein
Pressluftbohrer herumhämmerte. Ich lag im Bett, und die
Sonne strömte durchs Bullauge. Ich lächelte, als ich daran
dachte, wie ich Aornis besiegt hatte und sagte laut vor mich hin:
»Landen Parke-Laine, Landen Parke-Laine!«
Dann fiel mir wieder ein, dass Miss Havisham tot war, ich
starrte an die Decke und seufzte. Nach einigen Minuten der
Beschäftigung mit meinem Innenleben stand ich auf und
streckte mich ausgiebig. Es war beinahe zehn. Ich stolperte ins
Badezimmer, trank drei Gläser lauwarmes Wasser und kotzte
sie dann wieder aus. Ich putzte mir die Zähne, trank noch mehr
Wasser, setzte mich aufs Klo und steckte den Kopf zwischen die
Knie. Dann ging ich auf Zehenspitzen zurück ins Bett, um Gran
nicht zu wecken, die mit einem Exemplar von Finnegans Wake
auf dem Schoß schlafend im Lehnsessel saß. Ich wusste, dass ich
mich bei Arnie würde entschuldigen müssen. Ich hatte allen
Grund, ihm dafür zu danken, dass er die Situation nicht ausgenutzt hatte. Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich mich so zum
Narren gemacht hatte, aber ich beschloss, dass ich zur Not
Aornis die Schuld geben könnte.
Eine halbe Stunde später stand ich endgültig auf und ging in
die Küche, wo ich Lola und Randolph beim Frühstück vorfand.
Sie sprachen nicht miteinander, und ich sah Lolas kleines
Köfferchen an der Tür stehen.
»Guten Morgen, Thursday!« sagte Randolph und bot mir
einen Stuhl an. »Geht's wieder besser?«
»Bisschen groggy«, sagte ich, während mir Lola eine dampfende Tasse Kaffee hinstellte, dessen Duft ich dankbar inhalierte. »Aber sehr glücklich. Ich habe Landen zurück. Vielen Dank
für Euren Beistand gestern Abend, ich hab mich ja ganz schön
zum Narren gemacht. Arnie muss ja denken, ich wäre das
schlimmste Flittchen im ganzen Brunnen.«
»Nö, das bin ich«, sagte Lola voll Unschuld. »Ihre Großmutter hat uns alles erzählt. Von Aornis und Landen und so. Wir
hatten ja keine Ahnung, was hier alles los war. Arnie hatte volles
Verständnis. Er wollte später noch mal vorbeischauen, um zu
sehen, wie's Ihnen geht.«
Ich warf einen Blick auf den Koffer und fragte: »Was ist hier
eigentlich los?«
Randolph schaute zu Boden, aber Lola gab sich ganz unbe-fangen. »Ich ziehe aus«, sagte sie. »Ich muss zur Arbeit in meinem Roman. Sie wissen ja: Mädchen müssen bloß zugreifen.«
»Das ist ja toll«, sagte ich, ehrlich beeindruckt. »Was meinst
du, Randolph?«
»Ja, großartig. So viel Klamotten und Liebhaber, wie sie nur
will.«
»Du bist doch bloß sauer, weil du nicht die Rolle des väterlichen Freundes gekriegt hast«, sagte Lola.
»Aber nein«, sagte Randolph, und man spürte seine ganze
Enttäuschung. »Man hat mir eine sehr hübsche
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