03_Im Brunnen der Manuskripte
auch nicht.«
Und wieder fingen wir an, hysterisch zu kichern.
Als ich mich erholt hatte, trank ich erst mal einen Schluck
Wein. »Kannst du eigentlich tanzen?«
Arnie sah mich verblüfft an. »Aber natürlich!«
Ich nahm ihn an der Hand und führte ihn ins Wohnzimmer.
Ich legte eine Platte auf und meine Hände auf Arnies Schultern.
Seine Hände griffen nach meinen Hüften. Es fühlte sich merkwürdig an, aber das war mir egal. Ich hatte an diesem Tag eine
gute Freundin verloren und hatte ein Recht, mich zu entspannen.
Die Musik setzte ein, und wir begannen zu tanzen. Ich hatte
früher viel getanzt, wahrscheinlich mit Filbert Snood.
»Du tanzt sehr gut für jemanden, der nur ein Bein hat«, sagte
ich.
»Ich habe doch zwei Beine, Thursday.«
Wir fingen erneut an zu lachen. Er hielt sich an der Couch
fest, und ich hielt mich an ihm fest. Pickwick sah uns zu und
schüttelte voller Abscheu die Federn.
»Arnie, hast du hier im Brunnen ein Mädchen?«
»Nein«, sagte er langsam, und ich legte mein Gesicht an seins
und küsste ihn sacht, ohne große Zeremonie. Er zuckte zurück,
hielt inne und küsste mich dann zurück. Er war mir gefährlich
willkommen, und ich konnte mir überhaupt nicht erklären,
warum ich so lange solo gewesen war. Ich fragte mich, ob er
wohl über Nacht bleiben würde.
Er hörte auf, mich zu küssen, und trat einen Schritt zurück.
»Thursday, das ist nicht recht, was wir da tun.«
»Was soll daran falsch sein?« fragte ich und sah ihn unsicher
an. »Willst du dir mein Schlafzimmer ansehen? Mein Bett hat
eine tolle Aussicht – auf die Decke.«
Ich stolperte und hielt mich am Sofa fest. »Warum starrst du
mich so an?« fragte ich Pickwick.
»Es pocht so in meinem Schädel«, murmelte Arnold.
»In meinem auch«, sagte ich.
Arnold legte den Kopf schief und sagte: »Es ist gar nicht in
unseren Köpfen, es ist an der Tür.«
»Die Tür der Erkenntnis«, sagte ich, »von Himmel und Hölle.«
Arnold machte die Tür auf, und eine sehr alte Frau in einem
blau karierten Mantel kam herein. Ich fing an zu kichern, hörte
aber gleich wieder auf, als sie auf mich zutrat und mir das Glas
aus der Hand nahm.
»Wie viel hast du getrunken?« fragte sie streng.
»Zwei?« sagte ich und lehnte mich an den Tisch. »Zwei Gläser?«
»Flaschen«, verbesserte Arnie.
»Kisten!« sagte ich kichernd, obwohl mir eigentlich gar
nichts mehr komisch vorkam. »Und jetzt geben Sie mir bitte
mein Glas zurück, Karo-Dame!« Ich drohte ihr mit dem Finger.
»Und was soll aus dem Baby werden?« sagte sie aggressiv und
starrte mich böse an.
»Was für ein Baby? Kriegt jemand ein Baby? Arnie, kriegst
du ein Baby?«
»Es ist schlimmer, als ich dachte«, sagte die Karo-Dame.
»Kannst du dich an die Namen Aornis und Landen erinnern?«
»Nein, überhaupt nicht. Aber ich werde gern auf sie trinken,
wenn du das möchtest. Hallo, Randolph!«
Randolph und Lola waren gerade nach Hause gekommen
und starrten mich ungläubig an.
»Was ist los?« fragte ich. »Hab ich plötzlich zwei Köpfe oder
warum glotzt ihr so blöde?«
»Lola, hol sofort einen Löffel!« sagte die Karo-Dame. »Randolph, du bringst Thursday auf die Toilette.«
»Aber wieso?« sagte ich und fiel hin. »Ich kann schließlich
selbst laufen. Und warum ist der Teppich jetzt an der Wand?«
Dann sah ich plötzlich nur noch die Rückseite von Randolphs
Beinen und die Stufen ins obere Stockwerk. Er hatte mich
über die Schulter genommen und trug mich nach oben. Ich fing
an zu kichern, aber der Rest war ein bisschen chaotisch. Ich
erinnere mich noch, dass ich gewürgt und ausgiebig ins Klo
gekotzt habe. Dann wurde ich ins Bett gepackt und fing an zu
heulen. »Sie ist tot. Verbrannt. Ich wollte ihr ja noch helfen. Es
war eigentlich ihr SchleuderHelm, weißt du.«
»Ich weiß, Schatz. Ich bin deine Großmutter. Erinnerst du
dich an mich?«
»Omi?« Ich fing an zu schluchzen. »Tut mir leid, dass ich
dich Karo-Dame genannt habe.«
»Schon gut. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass du
beschwipst bist. Du wirst jetzt schlafen und träumen – und in
diesem Traum wirst du um deine Erinnerungen kämpfen.
Verstehst du?«
»Nein.«
Sie seufzte und wischte mir mit ihrer kleinen rosa Hand über
die Stirn. Ich fühlte mich getröstet und hörte auf zu weinen.
»Du musst aber wachsam bleiben, mein Schatz. Du musst
stärker als je zuvor sein. Wir sehen uns dann am anderen Ende
der Nacht, wenn der Morgen kommt,
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