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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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jemand in einem Buch krank
    wurde, dann war es immer gleich tödlich oder zumindest lebensbedrohlich.
    Dass ich überhaupt in einem Buch wohnen konnte, verdankte ich dem FigurenAustauschProgramm. Um zu verhindern,
    dass immer mehr gelangweilte Romanfiguren aus ihren Büchern ausbrachen und zu sogenannten Seitenläufern wurden,
    hatten die zuständigen Stellen ein Programm eingerichtet, das
    Buchmenschen einen gelegentlichen Tapetenwechsel erlaubte.
    Jedes Jahr gibt es etwa zehntausend Figuren, die nicht in ihrem
    ursprünglichen Werk wohnen – was die Handlung und die
    Dialoge meist gar nicht beeinträchtigt – die Leser merken in der
    Regel nicht das Geringste. Obwohl ich aus der wirklichen Welt
    stammte und eigentlich gar keine Romanfigur war, hatten der
    Protokollführer und Miss Havisham mir aufgrund meiner
    Tätigkeit bei Jurisfiktion gestattet, für die Dauer meiner
    Schwangerschaft in der BuchWelt zu leben, wo ich vor meinen
    Widersachern geschützt war.
    Das Buch für mein selbstgewähltes Exil hatte ich mit Bedacht
    ausgesucht. Als mich Miss Havisham fragte, in welchem Roman
    ich mich aufhalten wolle, hatte ich lange nachgedacht. Robinson
    Crusoe wäre rein klimatisch ideal gewesen, aber dort gab es kein
    weibliches Wesen, mit dem ich mich hätte austauschen können.
    Ich hätte auch in Stolz und Vorurteil wohnen können, aber ich
    war nicht gerade scharf auf bebänderte Hauben, geschnürte
    Korsetts und delikate Manieren. Nein, um die Wahrscheinlichkeit zu vermindern, dass ich womöglich umziehen musste,
    schien es mir unumgänglich, ein Werk von so zweifelhafter
    Qualität zu finden, dass eine Veröffentlichung höchst unwahrscheinlich erschien. Ich fand dieses Werk tief unten im Brunnen
    der Manuskripte unter anderen gescheiterten Projekten und
    halbfertigen Texten von so erschütternder Unbeholfenheit, dass
    sie gewiss nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen würden. Es
    handelte sich um einen drögen, in Reading angesiedelten Krimi
    mit dem Titel Caversham Heights. Eigentlich wollte ich dort nur
    ein Jahr bleiben, aber es kam alles ganz anders. Meine Pläne
    sind immer ein bisschen wie die Romane von Millon de Floss –
    man weiß nie genau, wie sie ausgehen.

    Ich las mich in aller Ruhe in Caversham Heights ein. Ich befand
    mich am Ufer eines kleinen Sees in der Nähe von London. Es
    war Sommer, und nach den winterlichen Wetterbedingungen
    zu Hause roch die Luft süß und warm. Ich stand auf einem
    breiten, hölzernen Landesteg vor einem großen, altertümlichen
    Flugboot, wie sie bei uns noch gelegentlich auf den Küstenstre-cken eingesetzt werden. Erst vor einigen Monaten war ich selbst
    noch in so einer Kiste geflogen, als ich jemanden aufsuchen
    sollte, der behauptete, einige unveröffentlichte Burns-Gedichte
    gefunden zu haben. Aber das war in einem anderen Leben, als
    ich noch für SpecOps in Swindon arbeitete, in einer Welt, die
    ich fürs Erste hinter mir gelassen hatte.
    Ich setzte eine dunkle Sonnenbrille auf und betrachtete das
    Flugboot, das leicht im Wellengang schaukelte und an den
    Haltleinen zog. Ich fragte mich gerade, wie lange es der alte
    Kahn wohl noch machen würde, als eine junge Frau mit einem
    Reisekoffer aus der Kabinentür trat. Ich hatte Caversham
    Heights bereits einmal kurz überflogen, daher kannte ich Mary
    schon.
    »Guten Tag!« sagte sie, kam die Gangway herauf und schüttelte mir die Hand. »Ich bin Mary. Sie sind wahrscheinlich
    Thursday, nicht wahr? Ach, du meine Güte, was ist denn das?«
    »Ein Dodo. Ihr Name ist Pickwick.«
    Pickwick plockte und starrte Mary misstrauisch an.
    »Wirklich?« sagte Mary. »Ich bin natürlich keine Expertin,
    aber … ich dachte, Dodos wären ausgestorben?«
    »Da, wo ich herkomme, sind sie als Haustiere ziemlich beliebt. Fast schon ein bisschen lästig.«
    »Ach. Von einem Buch mit lebendigen Dodos drin hab' ich
    noch nie gehört, glaub' ich.«
    »Ich bin auch keine Romanfigur«, sagte ich, »sondern wirklich.«
    »Ach!« sagte Mary mit weit aufgerissenen Augen. »Eine Außenländerin.« Sie berührte mich neugierig mit ihrem schlanken
    Zeigefinger. »Ich habe noch nie mit jemandem von der anderen
    Seite zu tun gehabt«, sagte sie und schien erleichtert, als ich bei
    der Berührung nicht in tausend Stücke zersprang. »Sagen Sie,
    stimmt das eigentlich, dass Sie sich regelmäßig die Haare
    schneiden müssen? Ich meine, wachsen Ihre Haare tatsächlich?«
    »Ja«, lächelte ich. »Und meine Fingernägel auch.«
    »Wirklich?«

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