03_Im Brunnen der Manuskripte
mehr?«
»Ja, Euer Ehren, das hat mit UltraWord™ zu tun. Das System
funktioniert sonst nicht.«
»Na, schön. Fangen Sie an.«
»Wiedersehen.«
»Sie wollen schon gehen?«
»Nein, äh. Wir möchten das jetzt wieder zusammenschreiben.«
»Ich soll mit Ihnen zusammen schreiben? Wieso denn?«
»Nein, äh. Wir wollen wiedersehen zusammenschreiben.«
»Verstehe. Genehmigt.«
»Das tut mir leid.«
»Was soll das heißen?«
»Wir möchten leid wieder klein schreiben!«
»Wie? Sie wollen das Leid kleinschreiben? Das kann ich nicht
zulassen.«
»Doch nur, wenn … also wenn es mir leid tut.«
»Verstehe. Genehmigt. Ich glaube, Ihnen wird noch einiges
leid tun.«
So ging das noch zehn Minuten lang hin und her. Dann
schob der kleine Mann seine Papiere über den Schreibtisch und
sagte: »Das wär's für den Augenblick.«
»Es ergeht König Salomons Urteil™«, sagte Kenneth. »Danach
darf jeder wieder wiedersehen schreiben, und Herr Röslein gibt
zu, dass es ihm und den Qmiehs sehr leid tut. Beschlossen und
verkündigt.«
Er unterschrieb und stempelte die Papiere, und der kleine
Mann lief hastig davon.
»Was kommt als nächstes?«
Aber ich war plötzlich ins Grübeln geraten. Obwohl man mir
mehrfach gesagt hatte, ich dürfe die drei Hexen nicht ernst
nehmen, musste ich zugeben, dass die Prophezeiung mit dem
Wiedersehen und dem Röslein sich gerade bewahrheitet hatte.
Bei genauerem Hinsehen hatten sie sich sogar alle bewahrheitet.
Der »blinde Hund« hatte gebellt, der Igel – Mrs Tiggy-winkle –
hatte gebügelt, und die Passantin hatte tatsächlich gerufen: »'s
ist Zeit! 's ist Zeit!«
Es musste also etwas dran sein an diesen Hexen. Allerdings
gab es noch zwei andere Prophezeiungen, die weitaus heikler
für mich werden konnten. Erstens sollte ich angeblich Protokollführer werden, was ich für ziemlich unwahrscheinlich hielt;
und zweitens sollte ich mich vor der »Drei-Leser-Regel« hüten.
Aber was bedeutete das?
»Ich bin ein vielbeschäftigte Mann«, rief Kenneth und warf
mir einen ärgerlichen Blick zu. »Tagträumer kann ich nicht
brauchen!«
»'tschuldigung! Ich habe nur gerade an etwas gedacht, was
mir die drei Hexen erzählt haben.«
»Scharlatane! Und was noch schlimmer ist – Konkurrenz!«
»Ach, das tut mir leid! Aber können Sie mir vielleicht trotzdem sagen, was die Drei-Leser-Regel sein könnte?«
»Ist das eine berufliche Konsultation?« Er lehnte sich auf seinem Sessel zurück und begann ostentativ Däumchen zu drehen.
»Wie wär's mit einem 100%igen Mitarbeiterrabatt?« fragte
ich hoffnungsvoll.
Salomon lachte. »Von der Drei-Leser-Regel hab ich noch nie
was gehört. Aber jetzt können Sie mir auch mal einen Gefallen
tun: Wenn Sie die drei Hexen das nächste Mal sehen – können
Sie mir vielleicht deren Adressenliste beschaffen? Aber erst
sollten wir mal die nächsten Kunden hereinlassen.«
Ich führte verschiedene Figuren aus Wuthering Heights in
den Saal, die sich alle gegenseitig so wütend anstarrten, dass sie
mich gar nicht wiedererkannten. Heathcliff trug eine dunkle
Brille und war von seinem Rechtsanwalt und seinem Agenten
begleitet.
»Worum geht's?« fragte Kenneth.
»Der Wuthering-Heights-Erzählperspektiven-Prozess«, sagte
der Anwalt und legte ein Dokument auf den Tisch.
»Lassen Sie sehen«, sagte Kenneth und blätterte in dem
Schriftstück. »Mr Lockwood, Catherine Earnshaw, Heathcliff,
Nelly Dean, Labella und Catherine Linton. Sind alle anwesend?«
Sie nickten. Nur Heathcliff peilte über seine Sonnenbrille
und zwinkerte mir zu.
»Tja«, sagte Kenneth, während er das Schriftstück studierte.
»Jeder von Ihnen ist überzeugt, dass er der Ich-Erzähler sein
sollte, korrekt?«
»Nein, Euer Gnaden«, erläuterte Nelly Dean. »Es ist genau
andersrum. Keiner von uns will das erzählen. Es ist eine Schande für ehrliche Leute – und für manche nicht so ehrlichen
auch.«
»Halt den Mund!« brüllte Heathcliff. »Du bist bloß ein
Dienstmädchen!«
»Mörder!«
»Sag das nicht noch mal!
»Sie haben mich schon verstanden !«
Daraufhin fingen alle an, durcheinander zu schreien, bis
Kenneth mit seinem Hämmerchen auf den Tisch schlug. Das
brachte sie jählings zur Ruhe. Salomons Urteil™ war die letzte
Instanz, und das wussten sie alle.
»Es ist Salomons Urteil™«, erklärte Kenneth, »dass ihr alle
Ich-Erzähler sein sollt!«
»Was ist denn das für eine bekloppte Idee?!« schrie Mr
Lockwood. »Wie sollen wir
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