03 - Keiner wie Wir
Tina aus dem Augenwinkel. »Dir ist schon bewusst, dass ich das nicht wörtlich meinte, oder?«
Die Antwort war ein laxes Schulterzucken, von Gewissensbissen konnte keine Rede sein.
Gott, wie sehr hatte er das vermisst!
In der nächsten Sekunde hielt er wieder das kleine Gesicht in seinen Händen und küsste sie, wollte das reale Gefühl, das sich bereits wieder in den Hintergrund verzogen hatte, neu aufleben lassen.
Auf so etwas schien Tina nur gewartet zu haben. Kaum berührten sich ihre Lippen, presste sie sich an ihn und warf sich mit einer Leidenschaft in den Kuss, die ihn verblüffte und gleichzeitig anstachelte, die Situation auch ja gebührend auszunutzen. Dieser widerliche Drang, zu nehmen, was man bekam, und zwar sofort, weil man nie wusste, wann und ob man das nächste Mal die Gelegenheit erhielt, hatte sich auch noch nicht gegeben.
Ewigkeiten mussten sie im Rahmen der Tür gestanden haben, bis Tina seufzend ihre Hände auf seine Brust legte und den Kuss beendete. Zärtlich ihre Nasenspitze an seiner rieb.
»Willst du dein Zimmer sehen?«
Sofort war Daniel argwöhnisch. »Was hast du getan?«
Ihr Stöhnen klang ziemlich aufgesetzt, auch wenn es durch das Beben, das sie dann und wann heimsuchte, ein wenig an Schärfe verlor. Arm in Arm überwanden sie die kurze Distanz des Flurs und Daniel erwartete die nächste Überraschung, denn auch dieser Raum wirkte faktisch unverändert. Mit zwei Ausnahmen war alles wie an jenem Morgen, an dem er zuletzt das Haus verlassen hatte.
Ein nächster Blick traf Tina aus den Augenwinkeln. »Die Bettwäsche?«
»Irgendwann musste ich sie wechseln«, beichtete sie mit ehrlichem Bedauern. »Obwohl ich wirklich versucht habe, das zu umgehen.«
Er grinste. »Also, ich hätte dir dieses hygienische Verbrechen durchaus verziehen.«
»Ich mir nicht«, erwiderte sie trocken, nahm seine Hand und weiter ging die Wohnungsbesichtigung.
In der Küche befand sich alles an seinem Platz, einschließlich Daniels Lieblingskaffeetasse.
Auch im Bad konnte er keine Veränderung ausmachen.
Und je länger sie gingen, desto fester zog er sie an sich, bis das Laufen tatsächlich schwierig wurde.
Keiner der beiden störte sich daran.
Schließlich beendeten sie ihre Inspektion dort, wo sie begonnen hatte: im Wohnzimmer.
Und zwar auf der Couch – wo sonst?
Tina saß auf Daniels Schoß, den Kopf an seinem Halsansatz, während Tränen seine Haut benetzten. Womit er sich ein weiteres Mal der totalen Hilflosigkeit ausgesetzt sah. War das Sprechen bereits zuvor nicht einfach gewesen, jetzt, angesichts des Appartements, wo er so lebendig gehalten worden war, brauchte er nicht einmal den Versuch zu unternehmen, um zu wissen, dass er gnadenlos scheitern würde.
Er fühlte eine derart bodenlose Schwäche, die ihm zuvor nicht bekannt gewesen war. Nicht einmal in der Zeit seines Afrika-Aufenthaltes.
Jedes neue Detail, das aufzeigte, wie angestrengt Tina daran gearbeitet hatte, damit er nicht in Vergessenheit geriet, ließ sein Herz stolpern und überwältigte ihn einmal mehr. So sehr, dass er beinahe ständig mit sich und diesen grauenvoll schönen Emotionen zu kämpfen hatte.
Möglicherweise war es auch das Brechen der unmenschlichen Stärke und Ignoranz, die ihn die vergangenen Monate überstehen ließen. Brutal und ohne Vorwarnung waren sie verschwunden und ließen ihn waffenlos und hilflos wie ein Kleinkind zurück.
Wohin nur damit? Viel mehr, als Tina festzuhalten, blieb ihm momentan nicht.
Leider war das nicht annähernd genug.
Von dem neuesten Tränenansturm erholte sie sich schneller, als von den vorangegangen und bekam danach endlich Gelegenheit für ihre Abrechnung. Mit roten, geschwollenen und verdammt kleinen Augen starrte sie ihn an.
»Du hattest versprochen, du würdest dich beeilen, Grant!«
»Sorry ...«
»Du hattest gesagt, da gäbe es keine Gefahr! Erinnerst du dich? Nicht? Oh, mein Gedächtnis funktioniert dafür prächtig: Tina, das ist ein humanitärer Einsatz! Wir sind sicher, Tina! Egal ...«
»Sorry ...«, wiederholte er leise.
Aber Tina kam gerade erst in Fahrt. Entweder, sie tobte jetzt oder die nächste Tränenflut drohte. Die Entscheidung fiel nicht schwer. »Du sagtest, wir ...«
»Sorry!« Eilig nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände und verteilte Küsse auf jeder Stelle ihres Gesichts, die er erreichen konnte. »Sorry.«
Kuss.
»Sorry.«
Kuss.
»Es tut mir so unendlich leid.«
Kuss.
»Wirklich!«
Unbemerkt brachen die letzten verbliebenen
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