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03 - Keiner wie Wir

03 - Keiner wie Wir

Titel: 03 - Keiner wie Wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kera Jung
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wusste nicht einmal annähernd, wie er sich verhalten sollte. Auch in ihm tobten so viele, unterschiedliche, wilde Emotionen, dass es ihn zunehmend zu zerreißen drohte. Er wollte sie festhalten und nie wieder loslassen, wollte sich kindischer aufführen, als ein sechsjähriges Mädchen. Und es kostete ihn verboten viel, sich nichts davon anmerken zu lassen.
    Wie mochte es da erst in ihr aussehen?
    Nachdem er zunächst bei Tina und dann sich selbst die Schuhe gewechselt hatte, führte er sie behutsam aufs Eis und verstärkte den Griff, sobald sie den glatten Untergrund betreten hatten. Tina war auf dem gefrorenen Wasser nie sonderlich sicher gewesen, demnach brachte er sie derzeit wohl in akute Lebensgefahr.
    Alles in allem keine Glanzleistung, was Daniel in echte Zweifel an der Genialität seines Planes trieb. Vielleicht hätte er mit ihr einfach heimfahren sollen ...
    Wenig später zeigte sich, dass Tina sich erstaunlich gut hielt, wenn man die außergewöhnliche Situation bedachte. Mit Daniels Hilfe bewegte sie sich relativ problemlos und verlor nicht einmal die Balance oder drohte gar, zu stürzen.
    Etliche Läufer befanden sich mit ihnen auf der Bahn, für einen Freitag jedoch nicht annähernd so viele, wie üblich. Möglicherweise herrschten heute zu eisige Temperaturen.
    Gut für Tina und Daniel. Allerdings hätte Letzterer sich auch nicht von eintausend Menschen stören lassen.
    Heute, nur heute, gehörte das Eis ihnen ganz allein. Weder die Musik, das Weinen der Kinder, das Jauchzen irgendwelcher Mädchen, das Gelächter verliebter Paare noch das Geplapper fröhlicher Menschen schien Bedeutung zu haben oder auch nur zu existieren.
    Sie liefen gemeinsam und ohne Eile, die Bewegungen absolut synchron, sein Arm lag fest um ihre Schultern, mit der anderen Hand hielt er ihre.
    Für einen Moment schloss Daniel die Augen und genoss die wunderbare, amerikanische Kälte, die er über so viele Monate vermissen musste.
    Ein ganzer Winter war ohne ihn ins Heimatland gegangen.
    Noch immer verließ ihr Blick ihn für keine Sekunde, und er zog sie ein wenig näher, gab sich ganz dem wunderbaren Gefühl hin, den vertrauten Körper im Arm zu halten. Bis vor wenigen Minuten reine Utopie, aber er hatte nichts vergessen, eher fühlte es sich wie die Heimkehr an, die es war. Längst sah er nichts mehr, außer sie, fühlte sich zunehmend wie in einem Traum, was zeitgleich die ersten Ängste aufkeimen ließ, dass er irgendwann doch noch erwachen würde.
    Ihm war durchaus bewusst, dass er etwas sagen musste, schon, um ihr endlich diese gefährliche Anspannung zu nehmen – sich selbst übrigens auch. Leider fand Daniel keine Worte, die ihm auch nur annähernd geeignet erschienen. Und er bezweifelte in zunehmendem Maße, dass die überhaupt existierten.
    Erst, als sie unvermittelt stehen blieb, sich mit einer endgültigen Bewegung aus seiner Umarmung befreite und ihre abwehrende Hand in die Luft schnellte, gab ihm der Schreck seine Stimme zurück.
    Jedenfalls etwas Artverwandtes. »Tina?«
    Die schluckte schwer und schüttelte energisch den Kopf.
    »Was hast du?«
    Anstatt einer Antwort wandte sie sich plötzlich um und stürzte in halsbrecherischer Geschwindigkeit zum Rand der Bahn. Dort umklammerten sie nach Halt suchend das Geländer und der Kopf verschwand beinahe zwischen den Schultern.
    Endlich!
    Ohne sich die Zeit zum Nachdenken zu nehmen, eilte Daniel zu ihr, wirbelte sie herum und zwang sie, ihn anzusehen. Er fand keine Tränen, wie vielleicht gedacht, möglicherweise sogar erhofft. Da waren nur diese riesigen, entsetzten Augen und ein schmächtiger, von unterdrückten Krämpfen gepeinigter Körper.
    Eilig umarmte er sie. »Tina ...«
    Der zierliche Kopf bewegte sich in ständiger Verneinung von einer Seite zur anderen, sie schien gegen einen Feind zu kämpfen, den Daniel nicht sah. Besorgt verstärkte er den Druck seiner Arme, doch sie versuchte mit aller Macht, sich von ihm zu lösen und wurde nebenher von diesem seltsamen Schütteln heimgesucht, das er mit etwas Phantasie als Schluchzen identifizieren konnte.
    Er konnte sie nur festhalten, egal, wie erbittert sie sich gegen ihn wehrte. Das Schluchzen wurde härter und unerträglicher und er packte noch fester zu, damit sie ihm nicht entglitt.
    So standen sie gefühlte Ewigkeiten, die zitternde Frau und der große Mann, der die Augen geschlossen hielt und dabei wirkte, als würde er stumm beten.
    Der Eindruck täuschte nicht …
    * * *
    I rgendwann erlahmte ihr Widerstand

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