03 - Keiner wie Wir
tatsächlich und Daniel wagte, sie anzusehen.
Mit einem tiefen, innerlichen Aufatmen, registrierte er die ersten, glitzernden Tränen. Ihr Kopf sank gegen seine Brust und sie war nicht länger fähig, auf dem ohnehin schon unsicheren Boden zu stehen.
Der Kampf war vorüber.
Daniel unternahm keinen Versuch, stehen zu bleiben, denn auch seine Beine befanden sich heute nicht in bester Verfassung. Kurz darauf knieten sie gemeinsam auf dem Eis, inmitten dieser ahnungslosen, so glücklichen Menschen, die sich ihren endlosen Weg kopfschüttelnd um das seltsame Paar herum bahnten.
Tina war eindeutig aufgewacht, denn neben Küssen, die sie unermüdlich auf jeden erreichbaren Teil seines Gesichts und des Halses verteilte, umarmte sie ihn so fest, wie er ihren Körper im Gegenzug. Unerbittlich, mit dem demonstrierten Willen, nie wieder loszulassen.
Und unaufhörlich flossen heiße Tränen.
Daniel wusste es zwar nicht, aber auch hierbei stand er Tina in nichts nach.
* * *
ina, wir müssen aufstehen.«
Entschlossen schüttelte sie den Kopf. Die Tränen waren versiegt, ihren Klammergriff behielt sie jedoch bei, lehnte mit weit aufgerissenen Augen an seiner Brust und küsste ihn ab und an, wenn nicht gerade ein heftiges Schluchzen ihren Körper erschütterte.
Über ihnen wurde soeben der lustige Song Winter Wonderland eingespielt, und auch die vielen Menschen hatten das Eis keineswegs verlassen. Inzwischen waren aus den vorwurfsvollen Blicken neugierige geworden.
Es gab nichts, was die beiden weniger interessiert hätte. Für Daniel und Tina war das Eis bis auf sie leer.
Nach einer Weile versuchte er es erneut. »Es wird zu kalt.«
»Scheiß drauf!«, wisperte sie – die erste normale Bemerkung.
Leise lachte er auf. »Die Leute glotzen.«
»Sollen sie doch!«
»Außerdem wird es wirklich kalt. Willst du dich erkälten? Lass uns einen Kakao trinken.«
»Geht nicht.«
»Ach, und warum nicht?« Daniel gab sich verdammt viel Mühe, vorwurfsvoll zu klingen. »Wenn du mir jetzt erzählen willst, du könntest keinen Kakao trinken, weil die ausufernden Kalorien ...«
Tina konnte noch weniger Erfolge vorweisen, als Daniel, denn nach jedem dritten Wort wurde sie von einem bebenden Schluchzen unterbrochen, während sie auf seine Plänkelei einging. »Grant, kaum bist du hier, geht das wieder los! Hast du eine ungefähre Vorstellung, wie sehr du nervst?«
Unwillkürlich schloss er die Augen, weil er soeben ihre Lippen auf seinem Hals spürte und ihr raues Flüstern vernahm: »Ich glaube nicht, dass ich momentan laufen kann, das ist der Grund.«
»Dann trage ich dich.«
»Nein, das geht nicht! Ich bin zu schwer und du bist so dünn ...«
Er schlug rechtzeitig die Lider auf, um ihre Lippen auf seiner Nasenspitze zu sehen und kurz darauf neue Tränen, die soeben Einzug hielten.
»Ah, die gute alte Weichei-Theorie«, murmelte Daniel und erhob sich so lässig mit ihr wie irgend möglich. Und obwohl er selbst nicht sicher war, ob das tatsächlich funktionieren konnte, schließlich befanden sie sich nach wie vor auf dem glatten Eis, hob er sie in seine Arme.
Ein Federgewicht, er hatte sich nicht getäuscht.
Glücklicherweise ahnte Tina nicht einmal, welche Lasten er in den vergangenen Monaten bewältigen musste. Neben seiner eher hobbymäßig betriebenen Arzttätigkeit hatte er vordringlich das Mädchen für alles gespielt. Nun ja, offenbar war er vom Regen in der Traufe gelandet. Diese Überlegung zauberte sogar ein schmales Lächeln auf seine Lippen, denn im Grunde gab es kein vergleichbares Vergnügen dazu, sie tragen zu dürfen.
Die ultimative Gewissheit, dass sie eindeutig bei ihm war.
Tina hatte die Arme um seinen Hals gelegt, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, die Lippen berührten seine Haut …
Gott … am liebsten hätte er sich wieder auf das Eis gesetzt und sie gebeten, genauso zu bleiben. Wenn möglich bis in alle Ewigkeit.
Wären die Menschen nicht gewesen, hätte Daniel seinem Wunsch auch nachgegeben, wenn auch nicht für die gewünschte Dauer. Doch sie waren nun einmal nicht allein und deshalb bewegte er sich langsam, aber zielstrebig zum Ausgang und befahl seinen weichen Knien, verdammt noch mal nicht gerade jetzt schlappzumachen. Die Furcht, sich überschätzt zu haben und sie am Ende fallen zu lassen, konnte er nämlich nicht abschütteln.
Daniel strauchelte nicht und Tina fiel nicht.
Kurz darauf standen sie auf festem, stumpfem Untergrund. Dummerweise weigerte Tina sich standhaft, ihn loszulassen
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