03 - Keiner wie Wir
sonderlich.
»Nichts war sicher«, sagte er leise, den Blick auf seinen Sohn gerichtet, der sich mit dem kleinen Daniel auf dem Schoß, sichtlich Mühe gab, nicht zu ihnen hinüberzusehen.
»Manchmal ist es besser, mit dem Schlimmsten zu rechnen, als sich Hoffnungen hinzugeben, deren Erfüllung von so geringer Wahrscheinlichkeit ist.« Als sie protestieren wollte, kam er ihr zuvor und fuhr eindringlich fort. »Wären sie während der Schwangerschaft zerstört worden, hättest du ...« Es war nicht erforderlich, den Satz zu Ende zu bringen.
Tina wusste sehr wohl, dass er richtig lag, doch das änderte auch nichts an ihrem Zorn.
All die vielen ungebetenen Gedanken, in denen sie verzweifelt zu begreifen versucht hatte, dass sie Daniel niemals wiedersehen würde, denn das galt lange als unausgesprochene Gewissheit.
All der Schmerz, unerlaubt und dennoch allgegenwärtig. Dieses stetige Bestreben, jede Hoffnung im Keim zu ersticken, weil Tina nun einmal ein Realist war, der sich nur ungern in irgendwelche Illusionen flüchtete und die winzigste Rechtfertigung dafür deshalb nur allzu gern angenommen hätte.
Selbst dieses bodenlose, vernichtende Gefühl, als er plötzlich vor ihr stand, das verzweifelte Bestreben, nicht zu glauben, was sie sah, wegen ihrer abgrundtiefen Angst, am Ende aufzuwachen und nur diesen verdammten Trockenstrauß und den MP3-Player zu sehen. Alles, was ihr – neben ihrem größten Schatz - von ihm geblieben war …
All die vernichtenden Emotionen, selbst das Glück war zerstörend ausgefallen. So überwältigend, dass sie noch auf der Eisbahn geschworen hätte, daran zugrunde zu gehen … Man konnte nämlich durchaus an einer Überdosis Glück sterben. Jetzt wusste sie es.
Nein, Derartiges konnte sie nicht einfach verzeihen.
Tina fühlte sich grenzenlos hintergangen, wie eine Marionette, die nach Gutdünken des Puppenspielers hin und her geschoben worden war.
Und genau das beschrieb eine der unerträglichsten Angewohnheiten ihres Schwiegervaters, nicht wahr? Sein schlimmstes Laster. Der hatte so etwas nämlich bereits sehr häufig getan, tat es vielleicht immer, selbst jetzt, in diesem Moment, ob im Kleinen oder im Großen.
Jonathan Grant spann im Hintergrund die Fäden.
So, wie er damals Daniel bei dieser Hilfsorganisation unterbrachte und ihn damit Tina fortnahm. Für elend lange, grauenvolle Jahre. Oder auch, als er Tina die Adresse seines Sohnes gab, es jedoch unterließ, den über ihr Kommen zu informieren.
Inzwischen waren ihr seine verdammten Barabenteuer so grenzenlos egal. Tina sah die Dinge neuerdings mit einer nie gekannten Klarheit:
Wäre er an jenem Abend daheimgeblieben, in Erwartung ihres Eintreffens, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, möglicherweise sogar ein freudiges, dann hätten sie Monate mehr gehabt.
Das, und nur das zählte noch.
Mr. Grant hatte nur in bester Absicht gehandelt, daran zweifelte Tina für keine Sekunde. Aber es entbehrte nicht einer gewissen Selbstherrlichkeit, über die Köpfe anderer zu entscheiden und dabei zu übersehen, dass diese möglicherweise eigene Gedanken zur Gestaltung ihres Lebens bewegten.
Es würde lange dauern, bis sie dieses gewisse negative Gefühl in Gegenwart ihres Schwiegervaters endgültig überwinden können würde.
* * *
N achdenklich ließ Tina ihren Finger an der knochigen Schläfe Daniels hinabwandern.
Sie beide hatten gelitten und taten es noch … Doch im Grunde spielte selbst das nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig war nur eines:
Dass sie endlich zusammen sein konnten.
* * *
ls Tina die aufkeimende Übelkeit spürte, dachte sie nicht sonderlich darüber nach, sondern schlich eher resigniert ins Bad.
Das kannte sie bereits.
Diesmal ging es gut, der kleine Schnitzer von eben, weil sie sich zu abrupt aufgerichtet hatte, wurde nicht umgehend bestraft.
Aber als sie im grellen Neonlicht der Badezimmerbeleuchtung in ihrem Schrank nach ihrer Zahnbürste greifen wollte, fiel ihr Blick auf die kleine, unscheinbare, in Pink gehaltene Packung, die direkt daneben so unschuldig vor sich hin schlummerte.
Seit Tagen residierte sie bereits dort, Tina hatte bisher nur nicht den Mut aufgebracht, sich endlich Gewissheit zu verschaffen.
Im Grunde kannte sie das Ergebnis, so dumm, die Anzeichen zu übersehen, war sie schon lange nicht mehr.
Nachdem sie sich eine Weile fixiert hatten – Schachtel und Tina – entschloss Letztere, dass es an der Zeit war, der Situation einen Namen zu geben.
Warum nicht um halb
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