03 - Keiner wie Wir
Gesichtsausdruck, irgendwo in einer schmutzigen Gasse, fortgeworfen wie ein Stück Dreck, nachdem das Leben aus ihrem Körper geprügelt worden war.
Ihm war nicht entgangen, dass eine ihrer Taschen fehlte. Bei näherem Hinschauen ging ihm selbst auf, dass einige – wenige – Kleidungsstücke mit dem Behältnis verschwunden waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits davon überzeugt, dass sie nicht ermordet in ihrem Büro lag und dort friedlich vor sich hin moderte.
Innerhalb dieser Tage konnte er weder schlafen noch essen, quälte nur pausenlos das Telefon, wenn er nicht selbst die Stadt auf der Suche nach Tina unsicher machte. Daniel musste Ängste ausstehen, die er bisher nicht für möglich gehalten hätte. Und als er sie sah, leichenblass, noch einmal um einiges dünner, mit riesigen leeren Augen, aufgerissenen Lippen und unordentlichem Haar, vom fehlenden Make-up ganz zu schweigen, verlor er endgültig die Beherrschung.
Erleichterung, Grauen und unvorstellbarer Zorn.
Diese drei Emotionen lieferten sich in ihm ein Stelldichein, kämpften verbissen um die beste Position und schoben sich rüde gegenseitig aus dem Weg. Aber sie lebte unübersehbar, was am Ende seinen Zorn siegen ließ. Wer am Leben war und ziemlich blöde fragen konnte: »Was ist los?«, der befand sich auch in der Lage, sein verdammtes Handy zur Hand zu nehmen und anzurufen .
Warum sie genau das nicht getan hatte, würde er wohl gleichfalls nie erfahren. Faktisch war Daniel nicht einmal sicher, ob er das überhaupt wollte . Wie auch immer die fadenscheinige Erklärung lautete, sie würde seinen Zorn noch mehr in Richtung Ultimo treiben und ihn ganz nebenbei in seiner Erkenntnis bestärken, dass er einem verdammten Irrglauben aufgesessen war.
Es gab für sie keine gemeinsame Zukunft. Was Daniel betraf, war dieser Traum endgültig ausgeträumt.
Und es gab vermeintlich nichts, was seine Meinung umstimmen konnte.
* * *
E rst an Tag drei ging ihm auf, dass er sie so billig nicht davonkommen lassen wollte.
Schon, weil sie ständig diesen hochmütigen Gesichtsausdruck zur Schau trug, der ihr nicht im Geringsten zustand! Was sollte der Scheiß? Schließlich hatte sie es verbockt und nicht er!
Um genau das ein für alle Mal zu klären, wartete Daniel, bis sie nach Hause gekommen und in ihrem Zimmer verschwunden war, und folgte ihr. Bei seinem Eintreten sah Tina nicht einmal auf, er hatte mit nichts anderem gerechnet.
»Du willst partout nicht begreifen, was du getan hast, richtig?«, begann er, nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte.
Mylady saß hinter ihrem Schreibtisch – gerader Rücken, Kinn ziemlich weit oben -, fixierte den Laptop und hob nur sehr langsam den Kopf in seine Richtung. Arroganter Gesichtsausdruck inklusive. »Bitte?« Das betonte sie in derartigen Momenten übrigens jedes Mal so, dass es wie ein ‚ Bütte‘ klang.
Nur diese dämliche Betonung trieb Daniel regelmäßig an den Rand der Tobsucht. Doch er übte sich meisterlich in Beherrschung, lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen und sprach sehr langsam und deutlich. »Wenn man zusammenwohnt und bekannt ist, dass man dem männlichen Part der WG nicht egal ist, dann meldet man sich, bevor man für vier Tage verschwindet! Und weißt du, warum? Nein? Ehrlich nicht? Wie schade … anscheinend ist deine Empathie innerhalb der vergangenen Jahre hoffnungslos verkümmert. Lass dich von mir erleuchten: weil der andere sich sonst vielleicht Sorgen machen könnte! Und wenn so etwas geschieht, aus welchen nicht nachvollziehbaren Gründen auch immer, besitzt man wenigstens so viel Anstand, sich zu entschuldigen! Ist dir Derartiges denn wirklich nicht in den Sinn gekommen?«
Darüber schien sie ernsthaft nachzudenken und Daniel war so dämlich, seine aufkeimende Hoffnung nicht sofort und energisch in die Schranken zu weisen.
Kurz darauf lehnte Tina sich nämlich zurück, wobei sie tatsächlich das Kunststück fertigbrachte, noch ein wenig selbstgefälliger zu wirken. Spätestens das hätte Daniel bis zu diesem Augenblick für Utopie schlechthin gehalten. »Nein, ist es mir nicht. Und weißt du, warum nicht?«
»Ich bin ganz Ohr«, murmelte er.
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass dir an einer dreckigen Hure wirklich etwas liegt.« Selten hatte Daniel ein sanfteres Lächeln an ihr gesehen. »Nur für den Fall, dass du das nicht weißt, was gleichzeitig der Beweis wäre, dass es mit deiner E-m-p-a-t-h-i-e auch nicht weit her ist: Wenn jemand einem nicht
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